Shakespeare: Ein Sommernachtstraum; Staatsschauspiel Dresden

Wenn Shakespeare selbst seinen „Sommernachtstraum“ im Winter schrieb, ist es höchst passend, ihn auch in dieser Zeit zu spielen. Draußen Nebel, Kälte, vielleicht Schnee, kein Blatt mehr am Baum, drinnen alles, was einen Traum auszeichnen kann, es darf sogar in Farbe sein und einigen im Parkett den Namen Sigmund Freud aus der Assoziationskiste zaubern. Zwei Stunden und fünfzehn Minuten Spielzeit kündigt das Programm an, keine Pause, und zwei Stunden, fünfzehn Minuten hielt die Premiere, als wäre Maurer-Pünktlichkeit das neue Gebot der Zeit an der oberen Elbe. Das Programmheft zitiert Jan Kott aus dem Jahr 1965, den Nicht-Shakespeareologen sei verraten: es handelt sich dabei um einen polnischen Experten (1914 – 2001), dessen Buch zuerst in Warschau 1965 erschien, 1970 in deutscher Übersetzung bei Piper in München, mit einem Vorwort von Peter Brook neu aufgelegt im Berliner Alexander Verlag. Kotts frühes Buch „Die Schule der Klassiker“ erreichte bereits 1954 eine DDR-Leserschaft, nachdem es 1951 in Warschau herauskam. Heute aber hat Kott mit seiner Lesart einen höchst wuchtigen Widerpart: Harold Bloom. Der Amerikaner zitiert in seinem Buch „Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen“ William Empson (1906 – 1984).
 
Und dieser Brite schrieb einst brachial: „Was das betrifft, so reihe ich mich freudig in die Front der alten Trottel ein. Kott ist lächerlich dickfellig gegenüber dem Buchstaben des Stücks und nur allzu bemüht, seinen Geist zu beschmutzen.“ Damit ist, typisch britischer Humor, allen Kott-Freunden die goldene Brücke gebaut: sie dürfen die Andersdenkenden den alten Trotteln beigesellen. Wobei ich im Falle Shakespeare glaube, das ist eine sehr ehrenvolle Bruderschaft. Bloom, um den noch nicht sofort zu entlassen, verwies auch auf Gilbert Keith Chesterton, „der bisweilen überzeugt war, der Sommernachtstraum sei das großartigste aller Dramen Shakespeares“ und beharrte störrisch auf dieser Meinung: „Trotz alledem bin ich überzeugt, dass ich unmöglich der einzige Liebhaber dieses Stücks sein kann, der die heutige gängige Auffassung ablehnt, dass sexuelle Gewalt und Bestialität im Zentrum dieses humanen und weisen Dramas stehen.“ Friederike Heller, die Regisseurin, hat es auch tatsächlich nicht um solch ein Zentrum gebaut, wobei Dramaturgin Katrin Schmitz, folgt man ihrem Text im Programmheft, in diese Richtung gedrängt haben dürfte. Ich widerstehe der leichten Versuchung, den Missverständnissen ihrer Darlegungen gegenüber den alten Oberlehrer zu spielen.
 
Man hat, einen leiste ich mir dennoch, nicht nur keine dominierende literarische Quelle gefunden: man fand gar keine. Und der genannte Harold Bloom (Jahrgang 1930) hob sogar eigens hervor, dass von allen Shakespeare-Stücken neben dem „Sommernachtstraum“ nur der späte „Sturm“ und das frühe „Liebes Leid und Lust“ aus keiner literarischen Quelle schöpfen. Bloom ist, weil die beiden anderen Stücke keine oder sehr wenig eigene Handlung haben, der „Sommernachtstraum“ folglich „das einzige Drama, für das Shakespeare eigenständig eine recht komplizierte und spektakuläre Geschichte ersonnen und ausgearbeitet hat“, obwohl ihm dieses Talent „als einziges unter allen Talenten, die ein Dramatiker braucht“ versagt geblieben ist. Man sollte solchen Überlegungen nicht vorschnell widersprechen. Dies einzigartige Werk Shakespeares also, mit einer sogar zusätzlichen Dimension an Einzigartigkeit, ist immer wieder von prickelnder Lebendigkeit, Tragfähigkeit, von einer überwältigenden Wirkungsmacht. Und noch immer fürchte ich vergebens, dass dann einmal eine Regie auf die inzwischen fast aufdringliche Verlockung hereinfällt, in Titanias Wetterbericht mit den abgesoffenen Kegelbahnen eine Art frühen Klimawandel-Memorandums zu erkennen.
 
Da dieser Text in Dresden gesungen wurde (überhaupt tendiert die Inszenierung halbwegs heftig in Richtung Revue oder Musical), ging er weitgehend unter, obwohl er durchaus prächtig ausgebreitet und sehr opulent auch optisch präsentiert war. Obwohl alles zunächst extrem grau und kahl anfing: vor bühnenhoher grauer Wand (Bühne und Kostüme Sabine Kohlstedt) mit einer Tür in der Mitte unten erschien ein Männlein, wie es im Fernsehen bisweilen das Nerd-Klischee zu erfüllen hat. Es zog, auch als es einen Namen, Philostrat, bekommen hatte, die Aufmerksamkeit derart rasant auf sich, dass zu befürchten war, es ereigne sich hier eine allzu heftige Akzentverschiebung. Das aber lag nicht etwa am überbordenden Spiel von Yassin Trabelsi, der dann auch noch zum Puck wurde, sondern an Viktor Tremmel, der vor allem hörbar, aber auch an der Gestik sichtbar, zweifellos versuchte, den gespielten Kavaliersstart im vierten Gang hinzulegen: zu viel des Guten kippt von sich aus ins Schlechte. Trost für alle, die es noch sehen werden: Tremmel fand das Gleichgewicht der Rolle, aus zu viel Gutem wurde beimischungsfrei Gutes, dieser Zettel als Zettel wie auch als Pyramus kann sich sehen lassen. Womit die Handwerker des Spieles dezent anmoderiert wären.
 
Sie traten in Overalls auf. Neben Tremmel noch Fanny Staffa als Squenz, Loris Kuberg als Flaut und Hans-Werner Leupelt als Schnauz. Letzterer spielte sich zum Ende hin in umwerfende Komik hinein, hatte er als Schnauz ja eben auch noch Wand, Löwe und Mond zu sein, während ihm die Elfenrolle Senfsamen eher gesangliche und tänzerische Qualitäten abforderte wie den anderen Elfen auch, die ganz oben im Bühnenhintergrund noch von Tasten-Elf Peter Thiessen begleitet wurden. Der Musik- und Gesangsanteil des Abends, wie schon erwähnt, war nicht nur hoch, sondern auch stimmig und wirksam zum Einsatz gebracht. Phasenweise schienen tatsächlich die freudigen alten Trottel ins Visier genommen, es gab leuchtend rote Plüschvorhänge, ein Prospekt im Hintergrund, als hätten die alten Meininger vor hundertvierzig Jahren einen als Anschauungsmaterial zurück in Dresden gelassen. Die Kostüme, nun ja, wer beim „Sommernachtstraum“ die Gelegenheit auslässt,  im Fundus oder in der Schneiderei Großkampftag auszurufen, wäre selbst schuld, das wäre Anti-Theater der nicht salonfähigen Art. Und stünde schönen Einfällen wie dem ausholenden Halbkreis der Hand- und Armbewegung jedes Mal, wenn der Text das Wort „Mond“ vorschrieb, im Wege.

So aber demonstriert diese Inszenierung, was man solch einem einfachen Einfall an Gag-Potential abgewinnt, wenn man auf Selbstläufer setzt. Zwischendurch rutscht mal Goethe in den Text: „Ich bin der Geist, der stets vereint“, weiter hinten klingt es nach Schillers Muley Hassan aus dem "Fiesco": nicht der Mohr, die Wand hat ihre Schuldigkeit getan, „die Wand kann gehn“. Die üblichen Geschlechtertausche des heutigen Bühnenbetriebs hat natürlich auch Dresden: Helena, die Unschöne, wird von Simon Verdelis gespielt. Peter Squenz, siehe oben, von Fanny Staffa. Rufe ich mir frühere „Sommernachts“-Inszenierungen vor Augen: in Gera, Berlin, Weimar und Rudolstadt, dann will mir scheinen, in Dresden hätte die Regie mehr Augenmerk auf die stets etwas ins Blasse tendierenden Paar-Geschichten gesetzt, was vor allem dadurch, wie man nun sieht, leicht erreicht werden kann, wenn man die Handwerker nicht zu früh zu viele Trümpfe ausspielen lässt. Theseus und Hippolyta (Matthias Reichwald und Anja Laïs) kommen fast nur am Anfang vor, Oberon und Titania (ebenfalls Matthias Reichwald und Anja Laïs) haben wesentlich mehr zu sagen und zu tun, Reichwald zusätzlich noch am Piano, Anja Laïs noch am Mikrofon als Frontfrau der Elfen-Group.
 
Zu den lustigen Text-Ideen, die bei Shakespeare nicht stehen, gehören in Dresden die Leckereien, die sich der in einen Esel verwandelte Zettel wünscht oben vom Türmchen herab, auf dem er mit Titania selbst Liebesnest hatte: es war eine österreichische Mehlspeisenfolge, ich verrate hier nicht, an wen gerichtet ich diese stille Hommage vermute, nur: es ist eine Dame, eine immens freundliche, mit einem Vornamen, den auch meine Mutter trägt. Auf Hafer und Heu kommt Tremmel-Zettel trotzdem, aber da ist schon der Germknödel gewesen und der Kaiserschmarrn. Deleila Piasko und Daniel Séjourné sollen darüber nicht vergessen werden, sie gaben Hermia und Lysander, die dem Theseus Widersprechende und den fälschlich mit Zaubertropfen Beträufelten. Alles an Jagd und Missverständnis ist da, der Helena-Darsteller darf sich einmal komplett entblößen, was neben mir zu erklärenden Worten einer großen zur deutlich kleineren Schwester führte, vielleicht war es auch eine sehr junge Mutter, die einschlägige anatomische Hinweise an das Töchterlein weiter reichte. Das Spiel der Handwerker am Ende war, wie es eher oft als selten gehandhabt wird, von allen Kommentaren der unsichtbaren Hochzeitgesellschaft befreit. Die Inszenierung bekam ihren Beifall.
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