Dario Fo: Bezahlt wird nicht!, Südthür. Staatstheater Meiningen
Ein bisschen skeptisch darf man bei Textkenntnis dieser Farce schon sein, die 1974 in Mailand ihre Uraufführung erlebte. Da ist nämlich für heutige allgemeine öffentliche Verabredung eine Prise zu viel Kommunismus drin, also jedenfalls für Menschen, die bei Nennung von Namen wie Lenin sofort einen allergischen Schock simulieren. Dario Fo, der 1997 den Nobelpreis für Literatur bekam und in Kreisen, die von links rechts genannt werden, als fortwährende Unperson betrachtet wird oder wenigstens als Beispiel für das tiefstmögliche Sinken des schwedischen Preisgremiums, hat auf alle Fälle Agitprop nicht vermieden in seiner persönlichen Wirkungsästhetik. Das Stück ist schon 1978 in Dresden als DDR-Erstaufführung zu sehen gewesen und zwei Jahre später war der Text in der Übersetzung von Peter O. Chotjewitz DDR-Bürgern zugänglich im Rahmen der Edition dialog des Henschelverlages.
In Zeiten, da Kommunismus aus Spanien, Italien und Frankreich unter Generalverdacht stand, man konnte 1977 ins Visier der Staatssicherheit geraten, weil man sich von einem nikaraguanischen KP-Mitglied, das nach Westberlin reisen durfte, „eurokommunistische“ Literatur mitbringen ließ, ich weiß wovon ich rede, war möglicherweise ein Bühnenstück, in dem Italiens Parteikommunisten deutlich kritisiert werden, in dem sogar der Papst sehr heftig in den Kakao getaucht wurde, aus schrägen Gründen attraktiv. Und die Vision am Ende, in der Dario Fo seinen Helden Giovanni darüber fabulieren lässt, dass, nachdem die Großkapitalisten durchs Klo gespült wurden, eine bessere Welt kommt, in der es vielleicht weniger helle Schaufenster und weniger Autobahnen gibt, hat vermutlich sozialistischen Spielplangenehmigern das Herz höher schlagen lassen: Das sind ja wir, die bessere Welt mit dunklen Schaufenstern und wenig Autobahnen.
Jetzt, 2012, in den Kammerspielen des Meininger Theaters, muss man nicht lange rätseln, ob der alte Text noch geht. Abgesehen davon, dass die wirklich guten Texte mit infamer Alterslosigkeit immer neuen Generationen beweisen, dass sie „funktionieren“. Tobias Rott (Regie) hat seine fünf Darsteller der Farce geben lassen, was der Farce ist. Ich mag nicht mutmaßen, was Darsteller lieber mögen: ihrem Affen Zucker geben oder im Deutungskorsett zum Verzicht gezwungen zu werden, ihren Möglichkeiten Bühnenwirklichkeit zu geben. In der Pause hörte ich unter den zahlreichen Kollegen aus dem Haus, die spielfrei hatten und deshalb die Premiere erlebten, die Frage erörtern, ob nicht weniger Tempo besser gewesen wäre. Man merke, sagte einer, dessen Namen ich hier schon in höchsten Tönen lobte und deshalb jetzt verschweige, dass die Inszenierung noch wenig Zuschauer hatte. Zu achten sei darauf, dass in den Lachern nicht der nächste Sprechtext untergehe.
Dem pflichte ich bei.
Ich räume allerdings ein, dass es herzerfrischend ist, junge weibliche Zuschauer sich ausschütten zu hören vor Lachen. Sie kannten den Text offenbar nicht, hatten deshalb die volle Überraschung des wahrhaft Feuerwerk zu nennenenden Dialogs. Selbst stramm ernst schauende Banknachbarn von mir waren irgendwann so weit, doch laut zu lachen und das dürfen sich die Darsteller ans Revers heften. Andernorts faseln Kritiker von Ensembleleistung, obwohl auf der Bühne Standbild herrschte, hier war sie zu sehen. Natürlich hatte Evelyn Fuchs als Antonia wesentlich mehr Text als Mara Amrita als Margherita. Schon zu Beginn hätten sich beide Szenenapplaus mehr als verdient, den es später auch immer wieder gab. Was für einen Sturzbach an Text lässt Evelyn Fuchs aus sich heraus und siehe, man kann tatsächlich spielen mit Mimik und erkennbarer Spielfreude. Man muss nicht, um gelobt zu werden, nur die untere Hälfte des Gesichts wie die Muppets in die Waagschale werfen. Was für ein wunderbares Rollenbild liefert Mara Amrita, ein wenig begriffsstutzig, diplomatiefern ehrlich, voller Angst mit plötzlichen Mutanfällen, greinend, weinend, juppiduh.
Raphael Kübler durfte vier verschiedene Rollen spielen. Diktiert nicht vom Sparzwang des Hauses, um Eisenach noch etwas länger zu retten, sondern so durchaus bei Signore Fo vorgesehen. Erst ist er eine Art maoistischer, die Kommunisten Italiens von links kritisierender Polizeiwachtmeister ohne Bart, dann ist er ein Carabiniere mit Bart, ein Leichenbestatter und schließlich der Vater. Da die Figuren nicht sichtbar gleichzeitig auftreten, funktioniert das bestens und Kübler gab allen je eigenes Profil. Vivian Frey, mir aus Coburg angenehm bekannt, war Giovanni, Ehemann Antonias. Florian Beyer kam als Luigi, Ehemann Margheritas, erst später ins gut zweistündige Spiel mit einer Pause und hatte vielleicht den am wenigsten dankbaren Part. Fo, wohl unter dem Eindruck Franca Rames, hat die Männer ziemlich lächerlich gemacht in seiner Farce. Den Frauen im Meininger Premierenpublikum gefiel das ausnehmend. Das sollte zu exzessiver Mundpropaganda anregen. Vielleicht ist das vor allem ein sehr schöner Frauenabend zum Ablachen mit Sinn und Botschaft.
Ach ja, die Geschichte. Natürlich nicht, wie in THÜRINGER ALLGEMEINE angekündigt, Frauenausreden nach einer Reihe von Supermarktdiebstählen. Es gibt ein einziges Mal das, was man unter Kriegsrecht Plünderung nennt und mit Höchststrafen belegt. Frauen nehmen einen Supermarkt aus, weil ihnen die Preise dort wie alle anderen Preise zu schnell gestiegen und zu hoch erscheinen. Wäre alles keine Farce, müsste man über die Blindheit des Textes reden. Denn gerade in Italien, wo heute noch der kleine Alimentari eine ganz andere Rolle gegenüber dem Supermarkt im engeren Sinne spielt, ist der Supermarkt das falsche Feindbild. Gleichzeitig hört man, dass auch Arbeiter ihr Kantinenessen nicht bezahlen und andere Arbeiter per Notbremse einen Zug anhalten. Es wird Solidarität beschworen und proletarischer Kampfgeist.
Die Handlung besteht in der Hauptsache darin, mit der Diebesbeute so umzugehen, dass die Ehemänner und die Staatsmacht nichts vom großen Plündern erfahren. All die irrwitzigen Einfälle, die schon Dario Fo hatte, setzt die Regie um. Da sind die falschen Schwangerschaften all der Frauen, die Beute unter ihren Mänteln verbergen. Da ist die hoffnungslos lächerliche Unfähigkeit des italienischen Ehemanns in Doppelausführung, im Haushalt bei Abwesenheit der Gattin einfache Verrrichtungen zu bewältigen, ein fast unerschöpfliches Reservoir für Spielideen, den weiblichen Zuschauern fast ständiger Quell für Lachanfälle. Ich möchte da nicht Schließmuskelaktivierer gewesen sein. Fruchtwasser-Dialoge, Tierfutter-Dialoge, das Anstarren einer Olive. Interessant auch bei allen behutsam unaufdringlichen Hinzufügungen an kommunizierbaren aktuellen Anspielungen (Bankenkrise gab es noch nicht anno 74, auch von China war nicht die Rede in Stücksinn, wohl vom Vietcong, Produktionsverlagerungen gingen damals noch nicht nach Ost- und Südosteuropa), wo eine Übersetzung ersetzt wird. Peter O. Chotjewitz schrieb seinerzeit das Wort „pimpern“, woraus in Meiningen „vögeln“ wurde.
Für den heftigen und langen Beifall am Ende bedankten sich auch Regisseur und Bühnenbildner. Das Bühnenbild war naturalistisch und drehbar, es gab Requisiten, die das vorstellten, was sie waren, der Topf als Topf, der Büchsenöffner als Büchsenöffner. Salat als Salat und Nudeln als Nudeln. Um sich nicht den Ruf einzuhandeln, dass die Meininger wieder anfangen zu meiningern, müssen sie vielleicht den nächsten Shakespeare oder Schiller ohne Bühnenbild, Darsteller und Zuschauer aufführen. Den Text vom Tonband auf einen Vierzeiler reduziert, dafür ein Programmheft mit sämtlichen Werken aller neuen französischen Philosophen zum Wahlstichwort in der Originalsprache.
www.das-meininger-theater.de