Warum ich heute zu Biskupek gehe*
Würde Matthias Biskupek nicht aus dem Buch lesen, aus dem er heute liest, wäre ich vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, vorher zu schreiben, was ich hinterher nur noch schwerlich schreiben könnte.
ARNSTADT. Nun liest er aber heute aus einem Buch mit dem Titel: Was heißt eigentlich „DDR“? Böhmische Dörfer in Deutsch und Geschichte, es ist ein Buch, das der Berliner Eulenspiegel-Verlag herausgebracht hat. Dem ist Biskupek schon lange treu und der ihm umgekehrt auch. Da das Buch, wie ich der Verlagswerbung entnehme, sich deutsch-deutschen Fremdwörtern zuwendet, hole ich mal eins aus der Kiste, das mich mit Matthias Biskupek verbindet. Es heißt „Poetenseminar“. Das war eine Veranstaltung, die der Zentralrat der FDJ 1970 aus der Taufe hob. Ich war als aufstrebender junger Lyriker eingeladen und bin, potzblitz, nicht hingefahren, weil ich lieber nach Ungarn wollte in diesem schönen Sommer. Gleich die erste minimale Chance, in die DDR-Literaturgeschichte einzugehen, habe ich mir somit selbst verbaut.
Erst 1974 war ich dann wirklich in Schwerin und 1975 noch einmal. Und aus dem 75er Seminar gibt es ein miserabel gerastertes Foto aus einer sehr viel gelesenen Tageszeitung namens „Junge Welt“, das war das Zentralorgan des Zentralrats der FDJ. Auf diesem Foto sieht man vorn, wenn man sich Mühe gibt, die schwarze Fläche zu entschlüsseln, sehr lange Haare. Das waren meine. Und links sieht man einen Menschen, der aussieht wie Matthias Biskupek. Warum er so aussieht, ist einfach erklärt: Es ist Matthias Biskupek. Er saß wie ich auch in dem Seminar, das der Geraer Schriftsteller Martin Viertel leitete. Der war damals wegen seines später verfilmten Romans „Sankt Urban“ sehr berühmt.
Biskupek und ich waren 1975 Menschen, die sich fast auf Anhieb verstanden. Wir hatten beide ein Faible für Günter Kunert, der im kommenden Jahr auch schon 75 wird. Und wir fanden jeder gut, was der andere schrieb. Das ist eine gute Voraussetzung für allerlei. Biskupek hat sein Talent genutzt und ist ein richtiger Schriftsteller geworden. Ich habe mein Talent auch genutzt und bin kein Schriftsteller geworden. Ich habe freilich eine Zahl von Biskupeks Büchern in verschiedenen Zeitungen der DDR, als es die noch gab, besprochen. Ich habe sie, wenn ich mich recht erinnere, immer gelobt. Nicht, weil der Biskupek damals neben mir gesessen hat. Sondern weil ich immer noch gut fand, was er schrieb.
Er fand übrigens auch nicht schlecht, was sich schrieb, wenn ich etwas schrieb. Und so wurde, als die DDR gerade am Untergehen war, ohne uns zuvor Bescheid zu geben, wann und wie das genau geschehen würde, der Plan für ein gemeinsames Buch geboren. Das war schon richtig geregelt mit Verlag und so. Wir hätten uns gegenseitig Briefe geschrieben, in denen wir uns Bälle zuspielen wollten. Ich war mittlerweile im Begriff, freiberuflicher Literaturkritiker zu werden, als solcher hatte ich mir in tiefer Ahnungslosigkeit den ersten September 1989 als ersten „freien“ Tag gewählt.
Der Rest ist bekannt. Die alten DDR-Verlage kündigten ihre Verträge mit aufstrebenden nachwachsenden DDR-Autoren fast so schnell wie ich heute mit der Fernbedienung bin, wenn Guido Westerwelle auf dem Bildschirm erscheint. Biskupek schreibt immer noch Bücher und pendelt zwischen Rudolstadt und Berlin hin und her. Ich lese manchmal Bücher und ich werde wohl auch dieses neue von ihm lesen, falls er es mir schenkt.
Heute gehe ich auf alle Fälle erst einmal in die Bibliothek, die meine nicht mit mir verwandte Namensvetterin Ursula Ullrich leitet. Vielleicht erklärt der Biskupek ja neben „Frösi“ und „Mosa“ auch das Wort „Poetenseminar“. Das kennt man im Westen sicher nicht. Um 19 Uhr geht es los im „Prinzenhof“.
*zuerst veröffentlicht in: Freies Wort, 9. April 2003