Konstantinow: Der Rosenölhändler
Es sollen die aus Radilowzi gewesen sein, insbesondere der Bürgermeister habe den Mord geplant und den Mördern dreißig Napoleontaler versprochen. Im Visier stand eigentlich Michail Takew, den die Kugeln jedoch nicht perfekt trafen. Besser klappte das mit Aleko Konstantinow, der im selben Wagen saß und dann eben tot war. Die Regierungspresse, liest man, verharmloste den Fall, während die Enthüllungspresse, man kennt das, schon den Mörder kannte, ehe der überhaupt den Mord als Möglichkeit seines Handelns, heute würde man sagen: als Option in Erwägung gezogen hatte. Takew lebte noch bis 1920, Konstantinow starb an jenem 24. Mai 1897. Bis heute darf zumindest dies als erstaunlich gelten, wie traumhaft preiswert seinerzeit die politischen Mörder in Bulgarien waren. Wenn man, nun also die quellenkritische Einschränkung, wenn man NOWO WREME Glauben schenken darf und dem Autor Dimityr Blagoew.
Dessen Klassikerstatus ist mit dem Zusammenbruch des Ostblocks, der sich als sozialistisches Weltsystem verstand, auch massiv gebröckelt. Nicht anders, eher schlimmer traf es Todor Pawlow, den unsereiner noch kennen lernen durfte als eine Art von Vizekönig der marxistisch-leninistischen Widerspiegelungstheorie, als Philosophen und Ästhetiker mit einer Werkliste von grundsätzlicher Epochenbedeutung. Schaut man nach, was der an Konstantinow so exemplifizierte, dann nimmt man doch lieber wieder Zuflucht zum alten Blagoew und seinen verschwörungstheoretischen Überzeugungen. Wobei es heute als definitiv uninteressant erscheint, ob dieser 1863 geborene Aleko Konstantinow tatsächlich, wenn er nicht erschossen worden wäre, zu einem bulgarischen Edmondo De Amicis sich weiterentwickelt hätte. Auch den muss man heute arg mühsam googeln. Und es ließe sich zudem behaupten, dass es nicht primär die Aufgabe von Schriftstellern ist, in Befreiungskriegen zu kämpfen und für den Nachruhm in den Enzyklopädien der Revolutionsgeschichte zeitig zu sterben.
Wie auch immer, weil Aleko Konstantinow an jenem Maitag 1897 starb, hinterließ er nur ein schmales Werk. Es ist kaum mehr als das hier in Rede stehende Buch und dazu noch eine Reisebeschreibung. Das hier in Rede stehende Buch freilich ist ein Klassiker. Und zwar ein sehr besonderer Klassiker. Mehr ein Sammelband, den eine einfache und zündende, man könnte auch sagen, den eine zündende, weil einfache, Idee zusammenhält. Die Idee ist der gemeinsame Held, der in meiner Ausgabe Baj Ganju heißt, sonst aber auch gern Baj Ganjo genannt wird. Und um die Hauptsonstigkeit gleich noch mit abzuarbeiten: Die Suchmaschine führt auf lauter Treffer, die Konstantinow am ersten Januar 1863 geboren sein lassen. In meinem oberschlauen Jubiläums-Jubilierkalender aber steht der Geburtstag für den 13. Januar verzeichnet, demzufolge wäre heute der 150. Geburtstag zu erwähnen. Meine Urquelle ist mir entfallen, doch bestätigt sie Radio Bulgarien und ich nehme zugunsten der Logik des Weltlaufs eher an, dass Bulgaren wissen, wann einer der ihren geboren wurde als irgendwelche Internet-Wikinger, die ihre eigenen Belegarbeiten aus der Unterprima zu Rate ziehen.
Meine alten Notizen aus dem Jahre 1998, dem ersten Jahr, in dem ich gleich ein halbes Jahr lang bis auf eine Ausnahme ausschließlich bulgarische Autoren las, enthalten dies: „Dergleichen Literatur, mitten in einer Phase des nationalen und damit auch patriotischen Aufbruchs muß verheerend gewirkt haben, ein klassischer Fall von Nestbeschmutzung, man könnte sich vorstellen, daß die Gralshüter des Vaterlandes wutschnaubend das Verstummen eines solchen Mannes forderten.“ Man könnte, um es feuilletonkompatibel für heute zu formulieren: Aleko Konstantinow erfand den österreichischen Selbsthass von Thomas Bernhard & Co. fünfzig Jahre vor Bernhards Geburt in Bulgarien. Denn Baj Ganju, der Rosenölhändler, ist ein derart gnadenlos fürchterliches Ekelpaket, ein moralischer, mentaler und sogar physisch stinkender Kotzbrocken, dass einem der Atem bei all den Beschreibungen wegbleibt, auf alle Fälle aber das Lachen. Freunde des schwarzen Humores, die auf das Steckenbleiben des Lachens im Halse speziell spekulieren, haben hier ein kleines Hausbibelchen für begleitende Schluckübungen.
Meinen zahlreichen Lesern in Dresden und in der Schweiz sei verraten, dass Baj Ganju auch in Dresden war und in der Schweiz und dass die Erzählungen davon speziell zu empfehlen sind. Das ganze Buch, es wurde angedeutet, besteht eigentlich aus lauter Feuilletons, die zum Buch wurden, weil der Verfasser auf die Renaissance-Idee zurückgriff, die eine Menschenansammlung erfindet, die ihre Zeit überbrückt mit dem Erzählen bemerkenswerter Geschichten, woraus der Novellenbegriff destillierbar ist und die Gattung sich auch tatsächlich entwickelte. Der kleine Witz der bulgarischen Variation aus dem späten neunzehnten Jahrhundert: Alle erzählen sich ausschließlich von Baj Ganju, jeder hat eine der offenbar en masse kursierenden haarsträubenden Geschichten von diesem Geizhals, Waschfeind, Schnorrer, Trickser, Lügner, Schweinehund, Fresssack gehört, der ungehobelt und dummdreist ist, ungebildet, bis es quietscht, aber ein Selbstbewusstsein vor sich her trägt, dass einem die Ohren summen.
Dieser Baj Ganju ist für Bulgarien und die Bulgaren wenig schmeichelhaft, was im Umgang mit ihm nur folgerichtig die Frage aufwarf, worum es sich bei ihm eigentlich handle. Wer hinter der Fahne von Marx, Engels und Todor Shiwkow segelte, hatte wie alle hinter solchen Segeln eine einfache Antwort in der Kiste. Baj Ganju ist der Typus des kapitalistischen Emporkömmlings mit all seinen miesen Eigenschaften, die leicht verfeinerte Lesart warf dabei noch den Begriff der ursprünglichen Akkumulation in den Debattenring. Und, um dem alten Todor Pawlow dann doch noch Erwähnung zu tun, sie folgerte aus allem, Konstantinows satirische Darstellung dieses Unhelden sei darauf gerichtet gewesen, Ausrottungsenergien freizusetzen: „Er will uns folglich befähigen, das Häßliche auszurotten, damit die menschlichen Ideen und Ideale des schönen, gerechten und sittlich großen menschlichen Lebens triumphieren.“ Man hatte es damals seltsamerweise, wo man sich doch heute gern von anderen krassen Diktaturen unterschieden wissen möchte , mit solchen Ausrottungsvisionen.
Wer das nicht so sah, war ein Ausländer, respektive gleich noch ein reaktionärer bürgerlicher Ausländer, der wie stets in ähnlichen Fällen dazu neige, in solchen miesen Typen gleich bulgarischen Nationalcharakter zu vermuten, was den Tatbestand der nationalen Verunglimpfung erfülle und so weiter und so fort. Solange Sozialismus herrschte, war dem Delikt auch gleich noch ein Nährboden des ideologischen Klassenkampfes unter zu schieben. Als ob je ein die Literatur bevölkernder mörderischer Bäckergeselle beschrieben wurde, um Innungsschelte zu betreiben. Ein Pröbchen aus dem Text selbst: „Dann begann er zu schlürfen; wenn ein Bulgare aber schlürft, dann ist das kein Spaß, ein Rudel Hunde, das übereinander herfällt, könnte ihn nicht übertönen.“ Auch andere Nationen kommen ins Visier: „Der Student weiß, daß die Tschechen nur Deutschen gegenüber unhöflich und fanatisch, sonst aber sehr liebenswürdig sind...“. Erst im zweiten Teil des nicht übertrieben homogenen Buches, die Addition der Teile zur organisierenden Grundidee hat eher eine reine Summe als eine wirklich neue Qualität ergeben, werden auch Erklärungsversuche mitgeliefert. Die klingen dann wie im westeuropäischen Naturalismus erborgt.
Für heutige Politiker, deren Lebensaufgabe darin besteht zu demonstrieren, wie vollkommen ihr Desinteresse an der eigenen Meinung von gestern ist, liefert Aleko Konstantinow ein Traumargument. Zu Beginn eines Kapitels wird gefragt, wieso Baj Ganju plötzlich als Konservativer kandidieren will, nachdem er sich zuvor noch selbst als Liberalen gerühmt hat. Mit dem Sinneswandel hat der Mann kein Problem: „Ein Wort hinterläßt doch kein Loch!“ Später meint er ehrlich bis auf die Knochen: „Patriotismus, der nichts einbringt, ist für die Katz!“ Das erinnert an die Scherz-Frage zu Beginn der Neunziger: Warum verteidigen die Amerikaner die Freiheit in Kuwait und nicht in Weißrußland? Die Jüngeren unter uns kennen die Antwort vielleicht noch. Kleiner Tipp: Sie hat etwas mit einem Rohstoff zu tun, aus dem man etwas macht, was man an Tankstellen tankt. Baj Ganju steht im Zweifelsfalle nie auf der Seite der Opposition. „Ganz einfach: Weil du abseits stehst, während sich diese Leute ein warmes Nest bauen.“ Er bekennt sich zur Obrigkeit: „Einen gesenkten Kopf, das weißt du ja, schlägt der Säbel nicht ab.“
In säbelarmen Zeiten und Regionen hat das Buch seine Potenz dennoch nicht verloren. Und der Rat von Dobri Witschew, doch den Baj Ganju verstärkt in internationalen Literaturkontexten zu sehen, scheint mir heute noch sehr beherzigenswert. Wie überhaupt die Seiten, die Witschew Konstantinow und seinem Antihelden widmete, höchst gescheite Seiten sind. 1985 erschien im damaligen Bulgarien eine Fünf-Lewa-Münze mit dem Abbild Konstantinows, im heutigen Bulgarien ziert er den Hundert-Lewa-Schein. Man kann daraus folgern, dass er Kanon geworden ist. Was in jedem Falle für Bulgarien spricht.