Alexander Moritz Frey: Solneman, der Unsichtbare

Als 1984 die Gustav-Kiepenheuer-Bücherei den „Feldsanitätsroman“ „Die Pflasterkästen“ von Alexander Moritz Frey veröffentlichte, es war der Band 52 dieser nie genug zu lobenden Reihe, die letztes Jahr fast unbemerkt auch das kleine Jubiläum ihres 30-jährigen Bestehens feiern konnte, war Frey hierzulande ein vollkommen Unbekannter. Die Leser des Romans konnten erstaunt registrieren, dass da ein hochbedeutender Anti-Kriegsroman lange Zeit vergessen worden war, der den Vergleich mit viel berühmteren Beispielen aus der Zeit der späten Weimarer Republik keineswegs zu scheuen brauchte. Jetzt ist, wiederum im Kiepenheuer-Verlag, ein anderer Roman von Alexander Moritz Frey erschienen, „Solneman, der Unsichtbare“ ist sein Titel und die Verwunderung über dieses Buch dürfte kaum geringer sein als bei den „Pflasterkästen“.

Hat das tatsächlich ein und derselbe Autor geschrieben? Das von Friedemann Berger verfasste Nachwort belehrt uns: nicht über den grotesken Roman Freys müssen wir uns wundern. Die Groteske war das eigentliche Feld des Autors, aus dem Rahmen seines Werks fällt der Anti-Kriegsroman heraus. Ihn muss man in seiner Einzigartigkeit nehmen, den „Solneman“ dagegen könnte man mit dem Gesamtwerk konfrontieren. Noch aber haben wir kaum einen Bruchteil davon. Zu hoffen ist, dass das anders wird, die groteske Literaturform wird nach wie vor, wie ich meine, ein wenig stiefmütterlich behandelt bei uns, vielleicht ist das eine späte Nachwirkung eines längst überwundenen, verengten Realismus-Verständnisses.

„Solneman, der Unsichtbare“ regt aber keinesfalls in erster Linie zu literaturhistorischen Reminiszenzen an, sondern ist ein höchst genussvoll zu lesendes Buch, kaum eine Seite darin, die nicht von übersprudelnden Einfällen der phantastischsten Art voll ist. Dieser Solneman mit dem merkwürdigen Vornamen Hciebel kommt in die große Stadt, die unschwer als München zu identifizieren ist wie weiland Rakkox der Billionär, dem Paul Scheerbart in dem gleichnamigen Mini-Roman ein so klägliches Ende beschert hat. Er kauft den Stadtpark, umzieht ihn mit einer dreißig Meter hohen Mauer und treibt fortan seinen groben Unfug mit den Bürgern. Man muss das gelesen haben. Zu Lande, zu Wasser und in der Luft versuchen die Städter, seiner ansichtig und habhaft zu werden, aber er ist ihnen immer voraus.

Rückwärts gelesen, lautet sein Name übrigens ganz passend „Namenlos lebe ich“. Die Bürger der Stadt reagieren ihrem Wesen entsprechend: sie entlarven sich permanent selbst und so wird das Ganze auch eine Gesellschaftssatire von Format. Der Verlag hat das Buch mit 29 Zeichnungen von Ulrich Tarlatt ausgestattet, sie passen zum Roman. Und vielleicht machen sie, günstigenfalls, jene nachdenklich, die im Gästebuch einer Tarlatt-Ausstellung ihre Verständnislosigkeit dokumentierten.
Zuerst veröffentlicht in TRIBÜNE; Nr. 74, Seite 14, am 15. April 1988 unter der
Überschrift: Vom phantastischen Leben des Hciebel Solneman, nach dem Typoskript


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