Hellrung-Villa, Neideck-Brocken, Eierbecher

Als Volksschullehrer wird man nicht reich. Normalerweise nicht. Wenn man aber eine günstige Partie machen kann, also eine so genannte gute Partie, dann kann es passieren, dass alles anders wird. Als Hermann Hellrung, geboren am 18. September 1865, die am 19. Februar 1874 geborene Emma Meyer geheiratet hatte, wurde für ihn alles anders. Er konnte bald seinen dürftig dotierten Lehrerjob aufgeben, Unternehmer werden und Wohlstand akkumulieren. Zu Kaisers Zeiten galt es nicht als ehrenrührig, Wohlstand auch zu zeigen und so wurde genannter Hermann Hellrung Bauherr. Er errichtete, genauer: die von ihm bezahlten Bauleute, eine Stadtvilla mitten in Gehren, das war 1911, weshalb die Jahreszahl wie das Kürzel „HH“ auch an der Fassade prangt. Das Haus bekam die Hausnummer 15 in der Marktstraße und weil in dieser Zeit der Jugendstil noch prägend war, bekam es von ihm außen und innen Stilelemente.

Da als Thema des diesjährigen Tags des offenen Denkmals „unbequeme Denkmale“ erwählt wurden, kam die Stadt Gehren auf die Idee, das ihr gehörende Haus Marktstraße 15 einer geneigten Öffentlichkeit zu zeigen. Mit dem gar nicht verheimlichten Hintergedanken, auf diesem Wege vielleicht Käufer zu finden für die Villa, die nun bereits fast zehn Jahre, genau seit 2004, leer steht. Das einstmals zur Villa gehörende Grundstück ist längst geteilt (und sehr ansehnlich bebaut), es bleibt dennoch ein ordentliches Stück übrig. Die Crux des Ganzen: das Haus hat erheblichen Sanierungsbedarf, den die Stadt nicht stemmen kann und wohl auch nicht will. Selbst wenn es für einen symbolischen Euro den Eigentümer wechselte, würde der neue Eigentümer keineswegs ein Schnäppchen gemacht haben, ein jeglicher Neubau an gleicher Stelle wäre sicher preiswerter. Genau das aber geht eben nicht. Denkmalschutz. Und der besteht, davon überzeugte mich der Augenschein, vollkommen zu Recht. Noch wären 8000 Euro zu zahlen.

Innen gibt es ein wahrhaft feines Treppenhaus in noch ziemlich gutem Zustand, die hölzernen Zierelemente, Säulen, Bögen wirken, ohne zu protzen. Freilich stechen sie heftig ab vom Zustand der Zimmer, soweit die zu besichtigen waren. Die erlaubten dennoch nostalgische Erinnerungen an die Zeit runder Badeöfen, beheizbarer Küchenherde und brauner Kachelöfen. Ein vorsichtiger Blick zum Seitenflügel, der schon baulich vor dem Einsturz gesichert werden musste, zeigt Balken im oberen Teil, die wahrscheinlich selbst ein zahnloser Holzwurm ohne Prothese gut kauen könnte. Der natürlich nicht zufällig anwesende Bürgermeister Ronny Bössel freute sich über jeden Neugierigen, der den Plakaten folgte, ein junger Mann aus Möhrenbach hatte die ihn leicht an die Grenzen seines Wissens bringende Aufgabe, Fragen zu beantworten, die er gar nicht beantworten konnte, schon seines Alters wegen.

Die Hellrung-Grabstätte ist übrigens auf dem Gehrener Friedhof noch zu sehen an der Mauer in Richtung Möhrenbach im hinteren Bereich, wo früher die Kindergräber lagen, die längst eingeebnet sind. Hermann Hellrung starb am 26. August 1930, seine Frau Emma überlebte ihn um zehneinhalb Jahre, sie starb am 6. Februar 1941. Nicht unter Denkmalschutz steht das der Nummer 15 gegenüber liegende Eckhaus, das ebenfalls einen Käufer sucht. Dort haben Generationen Gehrener Sonderkonditionen der besonderen Art genossen, wenn diese Dopplung ausnahmsweise einmal erlaubt ist. Man konnte am Hofeingang, wo jetzt das weiße Transparent mit der Telefonnummer für eventuelle Käufer hängt, die Klinke drücken, falls nicht ohnehin offen war und die Inhaberin des Geschäftes sogar beim sonntäglichen Kloßessen stören, nur um ein paar Flaschen Bier zu kaufen. Sie war das Original, das „die Orchel“ genannt wurde und für fünf Pfennige auch ein kleines braunes Spitztütchen frisches Sauerkraut vom Fass über den Ladentisch reichte.

Im äußerlich unscheinbaren Marstall ist zum Denkmaltag eine der Garagen geöffnet für Leute, die sich Schlossreste anschauen mochten. Einige davon stammen ursprünglich von der Arnstädter Ruine Neideck und zierten vor dem Brand den Gehrener Schloss-Innenhof. Der Tag des Brandes jährt sich am 11. September zum achtzigsten Male, weshalb auch die Fotodokumentation sowie die erläuternden Texte noch zusätzlichen Erinnerungswert befördern. Reste des Orignalbrunnens sind zu sehen und ein freundlicher Professor Helmut Wurmus beantwortet bei Bedarf Fragen. Um die Mittagszeit ist der Andrang nicht gerade berauschend, aber es kommen nicht nur Alt-Gehrener wie ich. Immerhin nehme ich die für mich neue, sonst natürlich längst bekannte Information mit, dass im Schloss bis zum Brand auch eine Berufsschule logierte. Für mich war die Ruine immer Abenteuerort der Kindheit mit noch zugänglichen Kellergewölben, in denen wir die angeblich dort lagernden Totenschädel nie fanden.

Dass Heide Scheibe die Tür zum Museum nicht nur einfach aufschließt für uns, sondern gleich eine Sonderführung anhängt, verdient einen Sonderdank. Ich war vorher nicht dort, obwohl es leicht gewesen wäre, die Gelegenheit ergab sich seltsamerweise nie. Um so überraschender war, was ich sah. Vom Schloss selbst wusste ich natürlich viel aus zahlreichlichen heimatgeschichtlichen Artikeln, die ich selbst als verantwortlicher Redakteur diesem oder jenem freien Mitarbeiter abgenommen hatte. Vor dem Modell zu stehen, zu dem auch die Nachbildung des Amtshauses gehört, in dem ich die letzten Jahre meiner Schulzeit in Gehren verbrachte, das Fenster zu sehen, vor dem mein Platz im Klassenzimmer lag, darunter Schulspeisung und Musikraum, oben die Hausmeister-Wohnung, das ist eine so nicht erwartete Zugabe dieses Denkmaltages. Die eigentliche Überraschung für mich aber ist der maßstabgetreue Nachbau des Anwesens Sichelhammer. Der Name seines Schöpfers fehlt auffallend, dafür ist der seiner Mutter zu lesen. Unvorstellbar, welche Attraktion Gehren weithin anziehend machen würde, wenn dieser Komplex rechts und links der Straße nach Möhrenbach auch nur annähernd vollständig erhalten geblieben wäre. Das war ein echtes Gesamtkunstwerk.

Natürlich genoss ich Relikte des Porzellanwerkes, mit dem mich nicht nur die Erinnerung an eine Patenbrigade verbindet, auch die ausgestellten Sammeltassen der letzten Produktionszeit kommen mir mehr als bekannt vor. Heide Scheibe erlaubte mir, einen Bügelverschluss in die Hand zu nehmen vom Sichelhammer-Bier, der ist aus Gehrener Porzellan. Und wer weiß schon, dass Gehren einst die Welt mit Eierbechern überschwemmte – ich wusste es nicht. Ich habe die ersten 26 Jahre meines Lebens in einem Dorado des Eierbechers gelebt und erfahre es erst jenseits der 60. Wohl dem, der den „Tag des offenen Denkmals“ erfand, an dem sich am 12. September 1993, das weiß ich als ehemaliger Zeitungsmensch noch gut aus eigener Beteiligung, erstmals auch der Kreis Arnstadt beteiligte. Auch da ist ein kleines Jubiläum, im Jahr darauf war aus Arnstadt und Ilmenau gegen heftigen Widerstand in Sachen Kreissitz und Autokennzeichen der Ilm-Kreis geworden. Im Kreissüden besann man sich seiner Denkmale erst zeitverzögert. Dass ich eine vollständige Broschürensammlung seit 1993 besitze, versteht sich fast von selbst.


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