Pfeife im Mund, Spitz an der Leine
Goethes Schweizer Ziehkind Peter im Baumgarten
Zweierlei, folgt man der Überlieferung, konnte Goethe nun gar nicht leiden: Tabak und Hunde.
So muss es ein in jeder Hinsicht besonderer Tag in Weimar gewesen sein, als am 12. August 1777 ein Besucher an Goethes Tür klopfte, der nicht nur beides kombinierte, eine Tabakspfeife im Munde und einen Spitz an der Leine, sondern auch noch, zu allem, höchstens zwölf Jahre alt war. Kein Jahr später, genau am 17. April 1778, sah die damalige Ilmenauer Poststraße den Jungen erstmals. Und zwar etwa da, wo in der jetzigen Lindenstraße das 1906/07 errichtete Kaufhaus Eichenbronner steht (derzeit XENOS, Gedenktafel zur Geschichte am Haus).
Dort hatte der Wildmeister Oettelt seine Wohnung, ihm war durch Goethe der Auftrag gegeben, sich um den jungen Mann zu kümmern, der ja noch gar kein junger Mann war, sich aber nach Kräften mühte, wie einer zu scheinen. Sein etwas seltsamer Name: Peter im Baumgarten. Geregelt hatte Goethe alles während seines Ilmenau-Besuchs vom 13. bis zum 15. April 1778, es war sein vierter Besuch hier, klammert man die Durchreise im September 1776 einmal aus. Er kam zu Pferde, war überwiegend in Stützerbach und erst zum Schluss bei Oberforstmeister von Staff. Auf dem Rückweg erlebte er übrigens, was auch auch heute noch ein zünftiges Aprilwetter ausmacht: ein Schneegestöber.
Peter im Baumgarten kam aus der Schweiz, genauer aus Meiringen im Haslital unweit des Brienzer Sees, wo man heute neben Aareschlucht und Reichenbachfällen vor allem Sherlock Holmes mit einem wunderschönen Museum in der Englischen Kirche ins Feld führt, um Touristenströme anzulocken. Dort war der aus Hamburg stammende 21 Jahre alte Leutnant Heinrich Julius von Lindau auf ihn gestoßen, sah in ihm das „Naturgeschöpf“, das man bilden könne, und gab ihn in eine Philanthropinum genannte Anstalt in Graubünden. Auf Lindau wiederum stieß Goethe während seiner ersten Schweiz-Reise. Lavater in Zürich spielte dabei eine Vermittlerrolle. Und Goethe gab, ungewöhnlich genug und einmalig auch, das Versprechen, sich um Peter zu kümmern, falls das nötig werde.
Es wurde nötig, denn Lindau ging 1776 nach Amerika und starb Ende 1777. Der scheinbar viel versprechende Knabe aber schlug nicht ein, wie man heute sagen würde. In Weimar wollte in Goethe bald nicht mehr haben. In Ilmenau bereitete er nach allem, was wir darüber wissen, dem Wildmeister wie auch dem Oberforstmeister fast nur Sorgen, vergnügte sich lieber. Er lebte auf großem Fuß, soweit man gewillt ist, zweimal Erdäpfel und einmal Erdäpfelsuppe am Tag, dazu etwas Fleisch und ein Bier im Gasthaus, heute so zu sehen, wie der Vormund es damals sehen wollte.
Immerhin erhielt Goethe auf dem Weg seiner zweiten Schweizreise 1779 in seiner Vaterstadt Frankfurt eine durchaus stattliche Summe ausgezahlt, die Lindau für Peter im Baumgarten hinterlassen hatte, um dessen Ausbildung bis zur Selbständigkeit abzusichern. Da konnte er sich zunächst einmal seine ebenfalls ansehnlichen Auslagen zurückholen, denn Peter im Baumgarten gab nicht nur einfach Geld aus, er machte auch Schulden.
Weder ein vernünftiger Jäger, wie er sollte, noch ein erfolgreicher Kupferstecher, wie er wollte, wurde aus ihm, wohl aber ein sechsfacher Familienvater, der Frau und Kinder im Stich ließ In Goethes Leben aber eine Episode, in der auch dessen Schützling Krafft noch eine Rolle spielte, von dem auf einer TA-Goetheseite bereits einmal berichtet wurde.
Zuerst veröffentlicht: Thüringer Allgemeine, Ausgabe Ilmenau, 22. März 2011