Walter Vogt 90

Ingeborg Quaas, von 1971 bis 1990 Lektorin im Berliner Verlag Volk und Welt, dort speziell für Literatur aus der Schweiz zuständig, berichtete für die „Fenster zur Welt“ betitelte Darstellung der Geschichte des DDR-Verlags: „Die Erkundungen II habe ich viersprachig ausgerichtet, also Texte aus den vier Sprachen der Schweiz ausgewählt und auf Deutsch vorgestellt. Es war das erste Mal, dass alle Sprachbereiche der Schweiz berücksichtigt wurden, selbst die rätoromanische Schweiz. Es waren 42 Texte! Man hat versucht, so viel wie möglich reinzupacken, weil die Leute ganz verrückt danach waren. Durch die Literatur hat man sich die Welt näher herangeholt. Man war in diesem abgeschlossenen Bezirk DDR darauf angewiesen. Eigentlich wurde einem jedes schweizerische oder österreichische Buch von den Leuten aus der Hand gerissen. Werbung war gar nicht nötig.“ Auch ich gehörte zu denen, die aus der Hand rissen, im übertragenen Sinne. So standen, als die DDR verblich, genau vier Bücher von Walter Vogt in meinem Schweiz-Regal: „Der Wiesbadener Kongreß“, „Vergessen und Erinnern“, „Erzählungen“ sowie „Altern“, in den „Erzählungen“ dabei listig verborgen der Roman „Schizogorsk“ In vier DDR-Anthologien mit Texten aus der Schweiz fanden sich weitere Vogt-Texte, die in den genannten Büchern nicht standen. Sogar ein Stück.

Man muss dies noch nachträglich loben, denn üblicher war, dass Texte, die an einer Stelle bereits gedruckt waren, an der anderen erneut erschienen, besonders krass etwa beim Österreicher Arthur Schnitzler. Hier aber bei Walter Vogt verblüfft nicht nur immer noch die offenbar sehr aufmerksame Publikation, sondern auch die Abwesenheit von Nach- oder Vorwörtern. Mit denen sonst die Leser traktiert wurden, damit ihnen nicht etwa eigenes Denken eigene Lesarten vorgaukelte. Noch einmal Ingeborg Quaas: „Die Schweizer waren richtig dankbar für jedes Buch, das bei uns erschien. Es war ihnen wichtig, in der DDR verlegt zu werden. Oft war es ja so, dass Schweizer Autoren erst, nachdem sie im deutschsprachigen Ausland, also in Westdeutschland oder in der DDR, erschienen waren, auch im eigenen Land zur Kenntnis genommen wurden. … Noch unbekannte Schweizer Autoren hat man damals im westdeutschen Buchhandel gar nicht wahrgenommen. …Walter Vogt hat immer gesagt, er sei der bekannteste Schweizer Schriftsteller in der DDR, in Westdeutschland kannte man ihn überhaupt nicht. Er ist dort nie eingeladen gewesen, und bei uns war er oft zu Gast, stets mit großem Gefolge. … Später habe ich eine Lesung mit ihm in Bern erlebt, da kamen gerade sechs Leute, und überall in der DDR hat er Säle gefüllt.“ In der DDR war Vogt kein Skandal-Autor.

Das aber war er in seiner Heimat, und dort wieder vor allem in Bern und Umgebung, wegen seines ersten Romans „Wüthrich“, den wiederum die DDR nie verlegte, auch nicht den Debüt-Band „Husten“. Adolf Muschg besprach den Roman unter der Überschrift „Dichter als Arzt“ am 23. September 1966 in NEUE ZÜRCHER WOCHE. Denn Walter Vogt, spätestens jetzt muss es erwähnt werden, war einer aus der langen Reihe schreibender Ärzte, deren berühmtester, Friedrich Schiller, eigentlich nie als solcher wirklich ernsthaft thematisiert worden ist, andere wie Gottfried Benn, Alfred Döblin oder Hans Carossa, um drei sehr verschiedene zu nennen, sind dagegen immer auch als Ärzte gesehen worden. Vogt war nach seinem Medizinstudium als Röntgenarzt tätig und ließ sich mit 40 noch zusätzlich zum Psychiater ausbilden, betrieb dann in Muri bei Bern eine eigene Praxis. Adolf Muschg 1966: „Den Arzt zu entmythologisieren, ist also ein heikleres Unterfangen, als man denken möchte. Nicht als Einzelfigur, aber als Mythos muss der Arzt komplett sein.“ Und: „Ich werde mich von Vogt niemals röntgen lassen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Man ist als Patient auf Ärzte angewiesen, die weniger Phantasie haben als er.“ Den Psychiater Walter Vogt umlagerten seine DDR-Leser laut Ingeborg Quaas wie in einem Happening.

Dennoch stimmt es natürlich nicht, dass Vogt in der Bundesrepublik nicht wahrgenommen wurde. Zwischen dem 14. Oktober 1966 und dem 22. November 1968, da war noch keine Vogt-Zeile in der DDR publiziert, hatte die Hamburger ZEIT drei Besprechungen zu drei Büchern Vogts (danach dann allerdings keine mehr) in ihren Spalten, zweimal äußerte sich der 1926 in Naumburg geborene Martin Gregor-Dellin, der 1958 die DDR verlassen hatte, einmal der später auch im Fernsehen an der Seite von Marcel Reich-Ranicki auffällig agierende Hellmuth Karasek. Alle drei Kritiken sind nicht derart, dass man neidisch werden müsste über so viel Durchblick und Formulierungskunst, dennoch glänzen beide beinahe schon wieder neben dem seltsam schülerhaften Lexikon-Artikel, den Bruno H. Weder für das KLG (Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur) verfasste, der zusätzlich ärgerlich durch die Ignoranz wird, die alles trifft, was nicht als Roman angesehen werden kann. Der SPIEGEL hat, soweit meine Recherchen es hergeben, den Schweizer Walter Vogt komplett ignoriert, was nicht zwingend gegen das Nachrichtenmagazin spricht, das von NEUES DEUTSCHLAND neuerdings gern „ehemaliges Nachrichtenmagazin“ genannt wird. Die FAZ hatte immerhin zwei Kritiken zu Vogt, ehe der 1974 zuerst in DDR-„Erkundungen“ erschien.

Bis zum Ende der DDR ließ die FAZ kontinuierlich noch weitere sechs Vogt-Kritiken einrücken, die SÜDDEUTSCHE stieg erst 1980 ein, die WELT 1981. Zu den KLG-Kuriositäten gehört, dass die Bibliographie der Sekundärliteratur einen Beitrag in NEUE ZEIT vom 13. Juli 1991 der DDR zuschlägt, die es da schon fast ein Jahr nicht mehr gab. Freilich war das zu DDR-Zeiten so etwas wie das Zentralorgan der Ost-CDU, das entschuldigt die Falsch-Zuordnung dennoch nicht. Walter Vogt erlebte das Ende der DDR und der anderen Staaten des Warschauer Vertrages nicht mehr, starb er doch infolge eines akuten Herzversagens bereits am 21. September 1988, nur ein Vierteljahr nach Martin Gregor-Dellin übrigens, für den es sicher eher eine Genugtuung gewesen wäre als für Vogt, der der DDR durchaus wohlgesonnen blieb, solange er lebte. 1977, 1983 und 1985 besuchte er die DDR, verrät ein Bildtext zu den Ingeborg-Quaas-Erinnerungen, ein weiterer Bild-Text erläutert ein Gruppenfoto von 1987, als Walter Vogt zu den geladenen Gästen der Jubiläumsfeier von Volk und Welt gehörte, er steht da vor Rolf Hochhuth, hinter der Spanierin Ana María Matute und neben dem Sowjet-Autor Georgi Markow. Die Gruppe Olten, deren Gründungsmitglied Vogt 1971 wurde, hatte noch bis 2000 den Satzungspassus, das Ziel sei „eine demokratische sozialistische Gesellschaft“.

Posthum für die DDR auszuschlachten ist das dennoch nicht, denn spätestens seit 1968 galt jede Rede vom demokratischen Sozialismus immer auch als Rede gegen den real existierenden, den undemokratischen Sozialismus. Dessen Bürger, siehe oben, dem Buchhandel aus der Hand rissen, was aus den Alpenländern kam und, bei aller Marktferne der sozialistischen Planwirtschaft, doch einen Erwartungsdruck auf den Quasi-Markt ausübten durch Nachfrage. Nachfrage nach Nachauflagen, Nachfrage nach DDR-Ausgaben längst berühmter und gelobter Bücher. Und da war es geradezu ein Idealfall, wenn nicht ein mit Reiserlaubnis ausgestatteter DDR-Autor unerreichbare Traumländer schlecht und hässlich redete, damit die Daheimbleibenden möglichst wenig Neid entwickelten, sondern einer von dort. Ich weiß nicht, ob Walter Vogt sich auch nur kurz missbraucht fühlte, als er sah, dass sein für eine Schallplatte verfasster Kurztext „Die Schweiz, jedermann weiß es …“ die umfangreiche Anthologie „Schweiz heute. Ein Lesebuch“, herausgegeben von Roland Links, Ingeborg Quaas, Dietrich Simon und Jean Villain, eröffnete, eröffnen musste, durfte. Die genannte Schallplatte mit dem Titel „Worte über die Schweiz“ erschien 1975 in Derendingen und ist derzeit noch oder wieder im Internet-Fachhandel für bescheidene 20 Schweizer Franken erhältlich.

Dort sprach, und Volk und Welt druckte es eifrig nach, Walter Vogt diesen irritierenden Satz: „Wenn ich die Schweiz verlasse, und es geht ja nicht nur mir so, befällt mich schon an der Grenze ein großes Gefühl von Weite und Freiheit.“ Rufen wir uns vor Augen, welche Grenzen man von der Schweiz aus passieren kann, kommt man auf Deutschland und Österreich, auf Frankreich, Italien und, nicht zu vergessen, auf Liechtenstein. Da muss man schon eine Reihe Augen zudrücken, um sofort auf Weite und Freiheit zu kommen. War da nicht nur wenige Jahre früher etwas mit einem Mussolini, einem Hitler, die bewirkten, dass in der Schweiz das „Boot voll“ war? „Die Schweiz“, sprach Vogt, „es ist kein Zweifel, war einmal ein großer Entwurf. … Heute sieht es anders aus. An Stelle kühner Entwürfe ist ein ängstliches Bewahren getreten, wir blicken allzu gern und allzu oft zurück in eine größere Vergangenheit, wir hängen allzu sehr am Besitz. Ich glaube, die Schweizer haben zu viel Angst. Es ist die Angst von Besitzenden, die alles zu verlieren und wenig zu gewinnen haben.“ Muss man solch grässliches Land mit einer dicken Anthologie vorstellen, für das angeblich gilt: „Für Menschliches ist wenig Raum, noch weniger für Geist.“? Das Ende der Tirade ist noch nicht erreicht, der Traum der Freiheit von Konsum- und Produktionsszwängen fehlt auch noch.

Man muss das wirklich verarbeiten: „Die dunklen Mächte der Reaktion und eines hoffnungslosen Konservativismus erheben schon seit 1968 wieder ihr blutiges Haupt.“ In der Schweiz? 1975? Blutiges Haupt? Hat da einer die falschen Propaganda-Broschüren gelesen, nicht auf ihr gedrucktes Erscheinungsjahr und den Druckort geachtet? Wir können die Frage heute, gut vierzig Jahre später, auch ganz anders formulieren: Warum wollen eigentlich so viele Menschen aus aller Welt in diese grässlichen Länder ohne Menschlichkeit und Geist, voller erhobener blutiger Häupter? Haben die von außen oder die von innen dauerhafte Wahrnehmungsschwächen? Warum gehen die, die es zu Hause so grausig finden, nicht weg? Sie hätten alle Möglichkeiten dafür, anders als etwa die DDR-Bürger, die ihr Land nicht verlassen konnten, wann es ihnen nötig schien als Ausweg. Das nationale Vergleichsphänomen in Deutschland wird bisweilen gern „Jammern auf hohem Niveau“ genannt. Walter Vogt hat in seinem Platten-Text eine mögliche Antwort gegeben: „Hier bin ich geworden, wer ich bin, nur hier bin ich, der ich bin, kein Fremdling, kein Tourist.“ Gibt es gar eine spezielle alpenländische Hassliebe zum eigenen Land? In Österreich treiben es Vorzeigeintellektuelle oft noch deutlich krasser. Werfen wir einen Blick in Walter Vogts Erzählung „Der langsame Satz“.

Diese eröffnet den DDR-Band „Erzählungen“ und ist dem Schweizer Band „Der Irre und sein Arzt“ (Die Arche Zürich 1974) entnommen. Vogt erzählt hier von einem Jungen, der in einer Kirche, in der Besucher nicht wissen, dass man nach den einzelnen Sätzen eines Violinkonzertes nicht applaudiert, Bachs E-Dur-Violinkonzert hört (BWV 1042), dessen zweiter Satz, Adagio, ihn so sehr erschüttert, dass er tränenüberströmt den gotischen Sakralbau verlässt. Vogt scheint seinem Ansatz nicht zu vertrauen, verfällt auf Reflexionen, die mit dem Jungen erst einmal weniger als nichts zu tun haben. „Der Fluch für einen, der schreibt“, steht da, „ist in diesem Lande, dass alles so verschwiegen ist und dass nichts geschieht.“ Und es geht zu einer Frau, die sich erhängen wollte, weiter und abrupt folgt ein solcher Satz: „Aber so ist unser Volk, so ist unser Land. Man muss es nehmen, wie es ist – wenn man es nicht endgültig den Bankiers überlassen will …“. Dann ist der Blick wieder bei dem Jungen, der Angst hat. „Das eben ist das Fürchterliche an der Angst in meiner Stadt, dass sie vollkommen grundlos – und dennoch allgegenwärtig ist!“ Eben war es noch die Angst der Besitzenden, jetzt ist es eine metaphysische All-Angst und die Autorenstimme sagt: „Wem niemals etwas Ernstliches zustößt, wie soll der wissen, das man auch Ernstliches überlebt?“

Sollen wir wünschen, dass uns Ernstliches zustößt, damit wir wissen, es ist zu überleben? Brauchen wir schwere Autounfälle, um zu erfahren, dass nicht jede gebrochene Wirbelsäule im Rollstuhl endet, falls dem nicht das Bestattungsinstitut zuvorkam? „Hinter der Angst vor dem Leben lauert die Angst vor dem Tod.“ Ich glaube, der Röntgenarzt Walter Vogt hat die falschen Philosophie-Feuilletons gelesen. Eine existentielle Angst vor dem Tod, gedeutet nach kräftig verdünnter Existenzialismus-Lesart, ist Intellektuellen-Unfug. Angst kann man vor dem Sterben haben, das wäre erfahrungsgesättigte Angst, vor dem Tod hat man sie nur angesichts definierter Glaubenssätze. Der Psychiater Vogt wird natürlich gewusst haben, dass er in beschworenen Erzähl-Situationen von depressiven Charakteren spricht, die den Anlass suchen und nicht vermeiden. Die Geschichte des Jungen und des langsamen Bach-Satzes könnte aufregend sein, wären da nicht mittendrin treibende Fremdkörper im Text, die zwar ziemlich sicher urschweizerische Nachkriegsbefindlichkeiten mehr als nur berühren, aber mit dem Jungen und Bach eben leider nichts zu tun haben. „Verschonte, die es nicht ertragen, Verschonte zu sein – verschont von Kriegen und Pest, und deshalb voll Angst, dass sie eines Tages nicht mehr verschont sein könnten …“. Vogt fixiert hier ein Urthema.

Es wäre ein sehr spezieller Dürrenmatt-Bezug ausführlich zu untersuchen und darzustellen, das kann und soll hier selbstverständlich nicht Aufgabe sein. Der Junge, und plötzlich vertraut Vogt dann doch wieder der Geschichte, die eine ist und nicht nur so tut, geht zu einem Friedhof, weil dort das Grab eines Siebzehnjährigen sich befindet, der sich erhängte und der Autor schreibt einen nicht eben zu wartenden Satz: „Aber seit er sich erhängt hatte, war dieser Mensch plötzlich sein einziger wahrer Freund.“ An den Rand welcher Abgründe führt uns Vogt da übergangslos? Der Junge bringt sich aber nicht um: „Er heulte in die Kissen, weil er ein Feigling war. Feigling – Verschonter – Überlebender … Die Welt war voll von Überlebenden und Verschonten.“ Ist das ein Vorwurf an die Welt? Dass das Leben weiter geht, immer weiter? „Der Alltag war wieder da, die süße, grandiose, grauenhafte Realität.“ Und der Junge darf den sehr seltsamen Gedanken denken: „Wer eine Blume, aufblühend, so zu beschreiben vermöchte, wie sie wirklich ist – der wäre der größte Dichter der Welt.“ Man möchte dem Jungen raten: Besser ist im Zweifelsfall die einfache Anschauung. Dem Blick bietet sich die aufblühende Blume, wie sie wirklich ist, wem wäre die eine Beschreibung mehr als der Anblick? Welcher Ehrgeiz gilt dem sonderbaren Ziel, größer Dichter der Welt zu sein?

Als zweiten Text von Walter Vogt nahmen die Herausgeber des Lesebuchs „Schweiz heute“ vor nun mehr als 40 Jahren „Spiele der Macht“ auf, ein Zwei-Personen-Stück, das sofort spielbar wäre, aber natürlich nirgends gespielt wird. Es ist kein Roman, nie einer gewesen. Die Personen werden Deltgen und Gretler genannt, weil in der Fernsehfassung der Schweiz René Deltgen (1909 – 1979) und Heinrich Gretler (1897 – 1977) die Rollen der beiden alten Männer spielten. Der Band 9 der Werkausgabe bringt „Spiele der Macht“ mit einem eher ärgerlichen Vorwort, das einerseits ein paar nützliche Sachinformationen enthält (Erstsendung am 13. November 1970), andererseits eine eigene Deutung vorgibt, die man eben nicht gern serviert bekommt, bevor man den Text selbst kennt. Von Heinrich Gretler erfahren wir, er „war immer ein bedeutender Schauspieler, aber in den letzten Jahren stieg er zu einsamer Größe auf.“ Und von Walter Vogt, dass er seltsamen Gedanken immer wieder gern verfiel: „ Warum nicht – bis auf die Knochen reduziert, ist die Weltgeschichte immer ein Zweipersonenstück.“ Kein Kommentar. „Spiele der Macht“ wäre lebendiges Theater, wenn jemand an einem Theater so etwas Vorgestriges wollen würde. Auch der sicher kaum spielbare Text „Lora – oder Die ewige Wiederkehr“ ist viel zu schade fürs Vergessen werden. Wie manches mehr.

Nicht vergessen werden soll, weil stellvertretend zu sehen, eine krude Kritik des Autors Ulf Heise, die am 28. Dezember 1991 im „Thüringer Tageblatt“ erschien. Der fand gleich zwei Bücher des da schon drei Jahre toten Walter Vogt blass, verglichen mit den „Geniestreichen eines Dürrenmatts“. Dann ließ er den Deckel seines Theorie-Kästchens springen: „Sobald einen Schriftsteller plötzlich die Intuition im Stich lässt, sobald die kreativen Wellen abebben, begibt er sich in der Regel auf die Suche nach rein handwerklicher Beschäftigung“. Für Vogt bedeutete das, laut Heise: „was er da aus Ermüdung am bürgerlichen Literaturbetrieb quasi nebenher schuf, hält Prüfungen stand.“ Und: „Der Leser stößt auf einen der seltenen Fälle, wo Inhalt und Gestaltung derart aufeinandertreffen, dass man ohne Umschweife von gelungenen Unterhaltungsromanen sprechen kann.“ Man kann nur hoffen, dass Inhalt und Gestaltung nie auf einer Kreuzung aufeinandertreffen, wo keine Schilder die Vorfahrt regeln. Hat Gestaltung Vorfahrt, weil sie von links kommt? Ulf Heise wünschte sich einen Korrektor für Walter Vogt, der Streichungen vornimmt. Das tun allenfalls Lektoren, möchte man rufen, Korrektoren machen das, was heute das Rechtschreibprogramm am Bildschirm macht. Walter Vogt aber, toter Psychiater, der heute 90 Jahre alt würde, brauchte ganz sicher keinen Korrektor.


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