Helmut H. Schulz 80

Zugegeben, dieser Geburtstag ist an mir vorbeigesaust. Einer ist 80 geworden am 26. April und offensichtlich hat nur der MDR davon Notiz genommen. Jedenfalls hat MDR Figaro aus Anlass des runden Geburtstages das Hörspiel „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“ ausgestrahlt. Zu einer Zeit allerdings, Beginn 7.10 Uhr am frühen Morgen des Ostermontags, als wahrscheinlich sogar der Osterhase noch ruhte. Helmut H. Schulz, zu DDR-Zeiten durchaus präsent auf dem umgrenzten Buchmarkt, wenn auch nie gefeiert, ist immerhin mit dem Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet worden 1983, für den sich noch heute niemand automatisch schämen muss.

Seine Bücher erschienen im Verlag der Nation und bei Hinstorff in Rostock, am Ende der DDR wurde besonders sein Band „Der Sündenfall“ mit Eifer besprochen, mal heftig verrissen, mal wohlwollend erwähnt und erörtert. Heute geht es Schulz wie vielen anderen einstigen DDR-Autoren, kleine und/oder obskure (Bezahl-)verlage bringen ihre Werke an die Öffentlichkeit. Der Blick in die einschlägigen Internet-Seiten erbringt immer wieder das Aha-Erlebnis dieser Art von Nachwende-Kultur: Der lebt ja noch, die schreibt ja noch. Und immer, fast immer gibt es eine lange Liste von Büchern, von denen man einfach nichts mehr gehört hat. Sie werden nicht besprochen, sie werden nicht beworben, denn eine halbwegs auffallende Annonce in einem halbwegs wichtigen Feuilleton kostet wohl bisweilen mehr als der Halbjahresetat eines kleinen Verlages insgesamt ausmacht.

Präsent ist mir eine kleine Geschichte, nur 13 Druckseiten in einer Anthologie des Berliner Aufbau-Verlages. Sie heißt „Blumen für den Frauentag“ und erzählt von einer Frau Ende 40. Seite um Seite vergrößert der Autor die Unruhe seines Lesers, Seite um Seite drängt sich die Frage heftiger auf: Was, um Gottes willen, ist das denn für eine Frau? Die von ihren beengten Verhältnissen im eigenen Haus erzählt, das aber eine „Wohnhalle“ enthält. Die ihre wohl geordnete und bestens funktionierende Familie, ein Mann, zwei Söhne, eine Tochter und eine Haushaltshilfe, die im Keller wohnen darf mietfrei, vorstellt und dann den täglichen Grusel, der eruptiv ausbricht und am Abend vergessen wird. Am Ende zündet die Frau, eine ihren Beruf aufgegeben habende Journalistin, ihr Haus an und geht mit einem Beil auf die Ihrigen los.

Als sie erzählt, sitzt sie hinter den Gittern einer geschlossenen Anstalt. Sie fühlt sich wohl, sie vermisst niemanden, allenfalls ihren Hund. Ich müsste lügen, wenn ich das alles als brandavantgardistisch, als sprachlich sensationell gestaltet oder auch nur als über die Maßen DDR-kritisch bezeichnen würde. Aber es hat was. Es führt einem, heute gelesen, die grässliche Phraseologie der Zeit vor, in der es spielt. Substantielles Spießbürgertum übelsten Zuschnitts mitten in dieser so sozialistischen DDR, Verlogenheit in der kleinsten Zelle auch jener Gesellschaft, die am Ende in einer ganz handfeste, ganz reale Zelle führt. Das hat was.


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