Updike liest in Hemingways Nachlass

Ob ich Updike erwähnt hätte, wenn ich im Oktober mit meinem Hemingway-Vortrag zu Wort gekommen wäre in der Ilmenauer Stadtbibliothek, kann ich heute nicht sicher sagen, die Schwerpunkte waren anders angelegt. John Updikes Äußerungen zu anderen Autoren waren mir eine Zeit gewöhnungsbedürftig, obwohl sie spürbar nahe an ihren Gegenständen blieben. Vielleicht ist gerade diese wirkliche Nähe eines selbst Schreibenden schwerer nachzuvollziehen als all die scheinbar so abgeklärten und apodiktisch formulierten Urteile der stets vorhandenen Experten und vermeintlichen Intimkenner. Der selbst Schreibende könnte, so eine Vermutung, weniger Probleme mit eigener Ratlosigkeit haben angesichts von Dingen, die er nicht verstehen kann, als der Mann, der die Schubladen zieht, die Etiketten aufklebt und die Rangordnungen festzurrt.

John Updikes Betrachtungen zu den „Ausgewählten Briefen“ Hemingways, wie sie Carlos Baker vorlegte, die deutsche Ausgabe enthält gegenüber dem amerikanischen Original noch zusätzliche Kürzungen, und zum Nachlass-Roman „Der Garten Eden“, haben einen, wer das Wort gern liest: Subtext, der die Moral des Nachlassplünderns verhandelt. Updike kommt zu keinem wohlwollenden Urteil, auch wenn er dem Roman, den es bei Hemingway in drei Fassungen ohne Rundung, ohne Straffung gibt und zugleich nicht gibt, einige der schönsten Passagen bescheinigt, die der Autor je zu Papier brachte. Die ausdrücklichen Wünsche, den Nachlass betreffend, die Hemingway durchaus verbindlich hinterließ, haben seine Erben und Nutznießer zeitig ignoriert. Solche Fälle  goutiert die Nachwelt, wenn dabei ein Kafka auf jenen Markt kommt, der ihn sonst spurlos verschlungen hätte. Nachlassbände, die dem Bild eines Autors Züge hinzufügen, die ihn eher fragwürdig als ehrwürdig  machen, haben ihre Tücken, die selbst ein geschäftlicher Erfolg nicht auswischt. Hemingway hätte, das macht Updike ohne jede Einschränkung klar, angesichts der von ihm nicht autorisierten Veröffentlichungen wohl Wutanfälle bekommen.

Manches aus den Briefen hat politischen Wirbel im Lager der ewig Erregten und noch ewiger Erregungswilligen heraufbeschworen. Hemingways wahrscheinlich prahlerisch überzogene, vielleicht sogar frei erfundene, auf alle Fälle zweifellos widerliche Selbstdarstellung als Killer von „Krauts“ hat sogar der „rechten Szene“, die sonst eher nicht zur Gruppe der großen Leser gehört, ein Stöffchen geliefert, um die antiamerikanische Suppe zu würzen. Updike aber benennt prägnant, was aus diesen Briefen vor allem spricht: „die Prahlsucht, die Brutalität und die Banalität“, denen man sich am besten entziehe, wenn man zu den Büchern greift, die Hemingway selbst, in voller Absicht, in voller Bewusstheit veröffentlicht hat. Er hatte strenge, ja strengste Maßstäbe für sich selbst, wie seltsam die manchmal auch ausfielen und aus welchen noch seltsameren Quellen sie gespeist sein mochten. Letztlich, man kann es so sehen, bestrafte er sich selbst mit dem doppelläufigen Gewehr, weil er sich nicht mehr genügte und keine Aussicht sah, aus dem Ungenügen je wieder herauszukommen. Der Kämpfer, der nur im Ring wirklich lebte, ist sich zu viel, wenn er weiß, dass er nicht einmal mehr durch die Seile kommt, geschweige denn je wieder einen Gong zur ersten Runde hören wird.

„Ein Mann, der weniger damit beschäftigt gewesen wäre, jeden Raum zu beherrschen, in dem er sich gerade befand, hätte es womöglich als Schriftsteller weiter gebracht.“ So kritisiert John Updike Ernest Hemingways permanentes Männchen-Spiel, welches nicht nur Feministinnen den Mann und Autor verleidet hat. Updike weiß aber auch und er liest es aus den Briefen, dass hinter dem inszenierten Selbstwunschbild Hemingways ein anderer nicht unsichtbar bleiben konnte, der beispielsweise im „Garten Eden“, wenngleich scheiternd, mehr als nur zu ahnen ist. Updike riecht in Hemingways Briefen von Anfang an den Geruch des Todes und hält für sich und seine Leser fest: „Jedes Leben, dass es wert ist, in Briefform in einem Zuge durchgelesen zu werden, beschreibt eine verbissene organische Kurve von der verkannten und hoffnungsfrohen Jugend über irgendeinen Erfolg (warum sonst würden wir diese Briefe lesen?) in den Verfall, Niedergang, die Enttäuschung, den Tod.“ Der Jäger, Boxer, Wörterzähler, Trinker war nicht der ganze Hemingway: „Und doch war er gleichzeitig ein Frauenliebling, männlich und höflich und sogar ein kleines Muttersöhnchen. In seinen Briefen erklingt ein seltsam unreifer Ton wie von einer klagenden zufälligen Musik.“

Was Updike nach der Lektüre des unter den Händen eines Verlagslektors erst zu einem Hemingway-Buch gewordenen „Der Garten Eden“ notierte, zeigt, wie die schriftstellerische Spekulation womöglich zum Kern eines Problems vorstößt, der dem wissenschaftlichen Zugriff mangels Quellen verschlossen bleiben muss. „Möglich auch, daß er im „Garten Eden“ vor der Schlangengrube des männlich-weiblichen Wechselspiels zurückzuckte und lieber wieder Schutz in der alten unzugänglichen Rolle des Hemingway-Machos Zuflucht suchte, dem die Frauen aufwarten wie die Huris im islamischen Paradies den gesegneten Unsterblichen.“ Für John Updike, der zum Jahrgang 1932 gehört, ist der 1899 geborene Ernest Hemingway vor allem in der Darstellung, der sprachlichen Umsetzung des Sexuellen in der Literatur ein kaum noch begreifliches Phänomen, er beobachtet berührt bis irritiert, wie der große Macho sich quält, um nicht sagen zu müssen, was er meint. Hier kehrt sich, das sagt Updike dann rücksichtsvoll nicht, unfreiwillige Komik gegen den Nobelpreisträger des Jahres 1954.

„Hemingway hätte dieses überlange, matschige und häufig demütigende Buch gehaßt“, resümiert Updike angesichts der Briefe. Zu „Der Garten Eden“ lautet das Abschlussurteil: „... das gesamte abgerundete Fragment entläßt uns mit einem besseren Gefühl von der Menschlichkeit und grundsätzlichen Gesundheit – so kompliziert, wie Gesundheit sein muß – als irgend etwas, das sonst seit seinem Tod veröffentlicht worden ist.“ John Updike, der am 27. Januar 2009 starb, wäre heute 80 Jahre alt geworden. Dass er nicht nur „Ehepaare“ geschrieben hat und „Hasenherz“, nicht nur „Die Hexen von Eastwick“ und „Rabbitt in Ruhe“, sondern auch „Amerikaner und andere Menschen“ oder, bescheiden, „Vermischtes“, sei an einem solchen Sonntag hervorgehoben.


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