Brendan Behan 90

Manchmal ist der Umweg die kürzeste Strecke zum Ziel, insbesondere wenn das Ziel ein feuilletonistisches ist. Auch wenn ich an Eides statt versichere, weder Kriegs- noch Bildungsminister werden zu wollen, beginne ich ein Zitat mit Anführungszeichen unten. Zur Verwirrung aller geistigen Kurzpassspieler ist es sogar ein ziemlich langes Zitat: „Vor einigen Jahren fragte der Vorsitzende eines katholischen Akademikerverbandes aus einer bayerischen Stadt mittlerer Größe bei uns an, ob es stimme, daß ich exkommuniziert sei, und wie wir, meine Frau und ich, dazu kämen, das Theaterstück eines Exkommunizierten (des Iren Brendan Behan) zu übersetzen. Am liebsten hätte ich dem Burschen geantwortet, ich wünschte, ich sei wirklich exkommuniziert, aber was dann hätte geschehen können, mochte ich meinem Vater, der damals noch lebte, nicht zumuten. So rief ich mir nur den Wahlspruch ins Gedächtnis, den ich mir seinerzeit als „junger Autor“ formuliert hatte: „Gefährliche Analphabeten sind nur die promovierten, am gefährlichsten die habilitierten.““

Das Zitat, dessen doppelte Anführungszeichen oben am Ende kein Druckfehler sind, stammt aus einem am 15. Mai 1967 im SPIEGEL veröffentlichten Beitrag des nachmaligen Nobelpreisträgers Heinrich Böll, ich zitiere es, Fehler dieser Quelle damit bewusst akzeptierend, aus dem im Deutschen Taschenbuch Verlag München im November 1985 erschienen Böll-Band „Heimat und keine. Schriften und Reden 1964 – 1968“, daselbst auf der Seite 259 auffindbar. Um meine sorgsame Gegenrecherche glaubhaft zu machen, ergänze ich, dass es sich um das Heft 21 des SPIEGEL handelte, auf dessen Titelseite voller Lametta Griechenlands König Konstantin abgebildet war mit der Titelzeile „Diktatur der Generale“. Böll widmete sich dem Buch von Carl Amery „Fragen an Welt und Kirche“. Bei dem Theaterstück könnte es sich um „The Quare Fellow“ gehandelt haben oder auch „The Hostage“. Böll hat beide Stücke gemeinsam mit seiner Frau Annemarie übertragen, das erste „Der Mann von morgen früh“, das zweite „Die Geisel“ genannt.

Als Brendan Behan tot war, widmete Böll ihm einen Beitrag mit dem aufregenden Titel „Brendan Behan“. Der genannte Sammelband erweckt im Erstdrucknachweis den Eindruck, als wären die 1965 datierten knapp vier Druckseiten zuvor noch nicht veröffentlicht. Das Quartheft Nummer 88 von Klaus Wagenbach, das dem ohnehin zu jung gestorbenen Behan noch ein Lebensjahr raubte durch falsche Angabe des Todesjahres auf dem Rücktitel, hat Bölls Text ebenfalls gedruckt. Es behauptet, der Text sei in zahlreichen deutschen Zeitschriften erschienen, nennt aber keine davon und gibt den Text auch nach einer Aufsatzsammlung wieder. Es wäre eine Aufgabe, nach solchen Drucken zu suchen, es hat sicher längst jemand sich dieser Aufgabe gestellt. Ohne Forschungsmittel von Bund und Ländern kann ich leider nicht forschen, wer das war und ob seine Funde sich auch tatsächlich dort finden, wo sie angeblich gefunden worden sind, falls er welche gefunden hat.

Bölls „Brendan Behan“ ist ein Musterfall der Kultur der Bitterkeit. Es muss den Kölner damals der Lebensekel sehr geprägt haben. Deshalb zitiert er den Bruder Behans unter anderem mit dieser Aussage: „Er war gelangweilt, gelangweilt von den Leuten und vom Leben. Er hatte den Punkt erreicht, wo er die meisten von uns verachtete...“. Es sind Texte wie diese, die mir seit Jahren das falsche Gejodel von Bölls minderer Qualität bei Gelegenheit dieses oder jenes Jubiläums widerwärtig machen. Der Verfasser des „Irischen Tagebuchs“ verstand Behan keineswegs nur, weil er selbst gern zum Glas Griff. Es war auch der Katholik Böll, dem der exkommunizierte Katholik Brendan Behan alles andere als unheimlich wurde. Auch mit dieser Aussage zitiert Böll den Bruder Brian Behan: „Warum schrieb er nicht einen großen Roman? Er war zu sehr Persönlichkeit. Er drückte sich aus in dem, was er sagte und tat, viel mehr als in dem, was er schrieb.“ Vielleicht missfällt Böll eben deshalb den Jodlern, weil er auch zu sehr Persönlichkeit war.

Jedenfalls hat Heinrich Böll „The Quare Fellow“ übersetzt mit Annemarie Böll, was heißen könnte, sie hat übersetzt, er hat aus interlinear Literatur gemacht. Ist aber kein Gegenstand und vielleicht auch falsch behauptet. Wer „The Quare Fellow“ gelesen hat, wird den Begriff GALGENHUMOR nicht mehr benutzen können wie früher. Das drei Akte umfassende kurze Stück spielt in einem Gefängnis, in dem Todesurteile durch den Strang vollstreckt werden. Das wäre auch einmal was für Theater, die suchen und mühsam Romane verhackstücken, weil es ja kaum spielbare Dramen gibt. Es enthält kaum Rollen, die für Darstellerpreis-Nominierungen gut sind, es enthält auch für derzeitige Sparinszenierungs-Intentionen viel zu viele Rollen. Aber wie das kippt, wie das aus einer scheinbaren Dreigroschenopern-Idylle kippt, das geht verdammt unter die Haut. Böll hielt fest, dass der Ire Behan, als er 24 Jahre alt war, jeden dritten Tag seines Lebens im Gefängnis verbracht hatte. Vielleicht war der Ton der Falltür, die unter dem Todeskandidaten nach unten klappt, ein Erfahrungsgeräusch. Dem entkommt man nicht mehr. Man weiß das aus dem Bericht, den Albert Camus gab über seinen Vater und dessen Erleben seiner ersten öffentlichen Hinrichtung in Algerien.

Die Details, die Behan im Dialog seiner drei handlungsarmen Akte ausbreitet vom Töten und seinen Verläufen, ist man rasch geneigt, makaber zu nennen. Solche Benennungen sind Befreiungsschläge des Selbstschutzes, gegen die jede gute Literatur anarbeitet. Es ist das bodenlose Entsetzen, mit dem Behan spielt, weil er die Vorstellungskraft anspricht. Dunlavin, exponierter als die anderen Rollen, reportiert im Stile eines Sportreporters den letzten Gang des Todeskandidaten. Der Henker, der bisweilen vor Arbeitsaufnahme schon so betrunken ist, dass er einen Gehilfen braucht, der die Situation retten kann, wenn sie gerettet werden muss, dieser Henker, der mit dem Schiff kommt, muss vor der Hinrichtung wissen, ob sein Opfer ein Katholik ist. Weil ein Katholik die schwarze Kapuze, die ihm über den Kopf gezogen wird, hinter aufgeschnitten bekommt, wegen der letzten Ölung. Der Henker berechnet anhand des Gewichts, wieviele Zentimeter der Körper fallen muss, damit der Wirbel bricht und nicht der Hals gewürgt wird.

Der heute von neunzig Jahren geborene Brendan Behan ist am 20. März 1964 gestorben, seinen einundvierzigsten Geburtstag hat er also noch erlebt. Das Meininger Theater nimmt den Geburtstag zum Anlass, in dieser Spielzeit „Richards Korkbein“ zu zeigen, Premiere wird am 7. März in den Kammerspielen sein. Am 27. Februar haben Theaterbesucher vorab die Gelegenheit, Probenarbeit zu beobachten. Wagenbach warb auf seinem Quartheft für Behans Stücke so: „Es sind sehr irische Stücke: aufsässig, empfindsam, blasphemisch, von ordinärer Grazie. Mit haarsträubenden Übergängen zwischen Ernst und Ulk.“ In „The Quare Fellow“ verrät der Gefängniswärter Regan übrigens, was mit den Abschiedsbriefen der Gehenkten geschieht: „Die Briefe schicken wir nicht ab, die schmeißen wir ihnen ins Grab. Hat ja auch keinen Sinn, den traurigen Quatsch, den sie schreiben, wenn sie ihn später im Rundfunk vorlesen.“


Joomla 2.5 Templates von SiteGround