Tagebuch

24. Januar 2019

Diese Lungenärzte! In voller Kompaniestärke behaupten sie, dass das mit den Grenzwerten und dem Feinstaub gar nicht so ist, sie bezweifeln sogar die Wissenschaftlichkeit der entsprechenden Studien! Das geht gar nicht. Könnte ja sein, dass, wenn alles nicht stimmt, sich unsere Aktivisten eventuell den Fernflügen zuwenden und im Zusammenhang damit den Reiseteilen unserer Groß-Medien, die schon allein deshalb am liebsten teure Fernreisen vorstellen, weil die vorstellenden Journalisten kostenlos an diesen Reisen teilnehmen dürfen. Der SPD-Mann mit der Fliege, der immer vor die Kamera tritt, wenn es um Gesundheit geht, sagt, alles sei aus der Luft gegriffen und  neue Studien müssten erst einmal in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Beim Feinstaub gehe es nicht um die Lunge, sondern ums Gehirn. Nun frage ich mich, wie wohl Staub in einen Sozialdemokraten-Kopf gerät, ohne kurzen vorherigen Umweg über Bronchien und Lunge. 

23. Januar 2019

Thüringen schwimmt im Geld, behauptete rotzdreist die Überschrift einer hier ansässigen Zeitung in der vorigen Woche auf ihrer zweiten Seite. Keine Zeile, kein Satz des darunter lesbaren Artikels bestätigte die Behauptung des Titels. Wir haben somit einen Seitenaspekt des Themas Lügenpresse gewonnen, ohne auf der Suche danach gewesen zu sein. Wenn ein Oberbürgermeister, den ich nicht gewählt habe, sagt, Touristen seien nicht seine erste Zielgruppe, dann ist das keine Herabwürdigung des Tourismus, sondern eine Befolgung seines Amtseides. Denn Oberbürgermeister sind dem Wohl ihrer Stadt verpflichtet, ihren Einwohnern mithin (nebst Einwohnerinnen und aller Diversen) und erst danach können rein rechtlich alle anderen Gruppen folgen. Wer kein Problem hat, muss sich folglich nicht wundern, wenn ihm eins draus gemacht wird. Das Fach „Verstehendes Lesen“ wird dummerweise von Journalisten bei ihren Lesern als absolviert vorausgesetzt, was ein Irrtum ist.

22. Januar 2019

Heute vor zwanzig Jahren kehrte ich nicht nur nach einer Woche im holländischen Aelderholt nach Hause zurück, ich fand den Steuerbescheid in der Post und bekam nach 21 Uhr einen Anruf vom Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). Ein Mann wollte von mir wissen, wie man am einfachsten an Dagmar Schipanski herankommen könnte. Er war ein wenig irritiert, dass mir nicht sofort klar war, woher dieses Interesse rührte. Bald wusste ich es natürlich: die CDU wollte sie als Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl aufstellen. Bei erfolgreicher Wahl wäre ich dann jemand gewesen, der einmal eine leibhaftige Bundespräsidentin zur Stellvertreterin gehabt hätte. Wir erinnern uns, wie die Wahl ausging. Ich erzählte beim Abendessen vom Besuch im Museumsdorf Orvelte, wo wegen der toten Jahreszeit alles geschlossen war. Knapp 600 Kilometer lagen hinter mir, 25 Gulden an Restgeld wanderten in die Schublade mit den Devisen. Dort liegen heute nur noch alte Münzen.

21. Januar 2019

Die Immobilienseiten in den feineren Zeitungen haben, anders als die Schaufenster von Sparkassen mit ihren Angeboten, einen Hauch von Sankt Moritz. Nicht baufällige Häuser in Dörfern ohne Bäcker, Kneipe und Nachbarn unter 80, sondern Überraschungen aus der Märchenwelt. Heute fällt, purer Zufall, mein Blick auf ein Anwesen in Saalfeld, vom Anbieter ein „prachtvolles Refugium“ genannt, wobei die Angabe Saalfeld/Saale bei Erfurt ein wenig irritierend ist. Im Zug aus Saalfeld nach Erfurt kann man mit etwas Pech schon mal eine Stunde Verspätung haben. Aber immerhin. Man kann in Saalfeld, wo einst die Gründung der Neuen Saale-Zeitung das mir verbundene Projekt Arnstädter Nachrichten so nachhaltig aus dem Gleis brachte, dass beide Blätter gut als verzögerte Totgeburten bezeichnet werden könnten, ein Refugium für fast zwei Millionen Euro erwerben. Hätte ich die, zöge ich dennoch nie nach Saalfeld. Dort kommen keine Westverwandten mehr an.

20. Januar 2019

Das neunte Gebot 42-jähriger Ehen lautet: Du sollst mit Deiner Gattin spazieren gehen, wenn sie dies wünscht. In den Ausführungsbestimmungen für Gebotsbefolgung steht dazu: Wenn Du am Abend tatortbegleitend einen Gelben Muskateller von Josef Dockner, Lage Göttweiger Berg, zu trinken beabsichtigst, empfiehlt sich zu Mittag vorbereitend ein Josef Dockner Tresterbrand vom Gelben Muskateller im Eichenfass gereift. Den inwohnenden Alkohol verarbeitest Du während der Runde durchs Wohngebiet am Friedhof nebenher, wo Du den Wohlhabenden und denen, die sich dies einbilden, auf die unvollendeten Treppen, Carports und Fassaden schaust und Erwägungen über den verpassten Bau eigener Häuser mangels flüssiger Mittel anstellst. Den sonntäglich-stillen Verdauungsschlaf kannst Du nachholen, er befällt Dich übergangslos, wenn Du Dich in deine Decke rollst, die die Gattin liebevoll frisch bezogen hat. So geht das Leben hin und ist angenehm.

19. Januar 2019

Wenn „Zippert zappt“ von oben links vertrieben wird, muss Besonderes passiert sein: Heute ist es der morgige zweite Jahrestag von Donald Trumps Amtseinführung. Die WELT ließ ein herrliches Titelbild verfertigen vom amerikanischen Künstler Paul McCarthy und das Blatt ist voller Trump-Geschichten. Den neuen Roman von Takis Würger, der scheint tatsächlich so zu heißen, hat auch die LITERARISCHE WELT nun dreiviertelseitig besprochen, somit sind alle nennenswerten Feuilletons durch, man kann das Buch, falls man es erworben haben sollte, ruhig verschenken oder wegwerfen. Der Chor der Kritik ersetzt das Kritisierte vollkommen. Was für alle Hype-Bücher der zurückliegenden Jahre identisch gilt. Sechs bis acht Kritiken ersparen alle Mühen mit den oft brikettschweren Wälzern. Anders als Karen Duve, die neuerdings auf einem Pferd fotografiert wird, nachdem sie früher im Bademantel oder auf dem Motorrad posierte, findet sich Würger unbelichtet.

18. Januar 2019

Aus gewöhnlich schlecht unterrichteten Kreisen verlautet, dass nachlässig werdende Schreiber von Tagebüchern etwas verheimlichen. Ich für mein Teil verheimliche so ziemlich alles in meinem Tagebuch, was mein privateres Leben betrifft. Wenn ich beispielsweise mit Sodbrennen zu ringen habe, weil ich von den Weihnachtsplätzchen einfach wieder einmal zu viele genascht habe, die seit Anfang Dezember im Backstudio meiner Gattin entstanden, dann ist das keine Nachricht für die weite Netzwelt, auch wenn ich weiß, dass höchste berühmte Schriftsteller den Vollzug sexueller Handlungen innerhalb und außerhalb ihrer jeweiligen Ehe gern für die Nachwelt festhielten, wenn auch nicht immer unter Verzicht auf Kürzel. Also ich will damit sagen, dass ich mich natürlich Tag für Tag aufregen könnte über fast alles. Aber wenn schon regelmäßiges Wein-Trinken mein Leben verkürzt, soll Empörung nicht noch hinzutreten. Selbst wenn die Bayern wieder ewig gewinnen.

17. Januar 2019

Meine Biologie-Hausaufgabe für Freitag, den 17. Januar 1969, lautete: „Welche Voraussetzungen müssen für eine bessere Anpassung an die Umwelt erfüllt werden? Beispiele nennen. Gibt es einen bequemeren Weg?“ Dass an diesem Abend auf dem Ehrenberg ein Studentenclub eröffnet wurde, den ich später über einen längeren Zeitraum sehr regelmäßig besuchte, in dem ich auch Lesungen veranstaltete, wusste ich natürlich nicht. Heute erschrecke ich: 50 Jahre ist das her. In den „bc“ ging man aus Überzeugung, nur dort wurde vernünftige Musik gespielt, „bd“ folgte auf Platz 2. „bh“ und am klarsten „bi“ waren die Clubs, in dem die überwiegend männlichen TH-Studenten, wie man heute sagen müsste, „parshipten“ mit paarungswilligen Ilmenauerinnen. Am 17. Januar 1719 erblickte Johann Elias Schlegel zu Meißen das Licht der sächsischen Welt, noch nicht ahnend, dass er der bedeutendste deutsche Theaterautor vor Lessing werden würde, der ihn später sehr lobte.

16. Januar 2019

Nach den Gesetzen medialer Aufmerksamkeitsökonomie ist das Eintreten des Erwarteten schlicht langweilig. Insofern verblüfft es, wenn sich alle Nachrichten an der „krachenden“ Niederlage von Theresa May festhalten, ehe sie ein paar Dinge nachschieben, die dem Unwichtigsten am Brexit wenigstens etwas feste Substanz unterfüttern. Immerhin erinnert mich das Dauerbeschwören von Untergangs-und Irrwitz-Szenarien an meine schönen Wochen in Ramsgate. Schon 2001 war der Fährverkehr für Personen dort eingestellt, sah der Hafen so öde aus wie jetzt in allen Haupt- und Nebennachrichten. Was da später noch eingestellt werden konnte, ist mir rätselhaft. Weshalb nur reportieren unsere Abendunterhalter eigentlich nie vom Eurotunnel? Dafür sah man aus dem Jahr 1971 einen britischen Professor, der allen Ernstes seinem Kollegen Arnold Toynbee entgegenhielt: Warum sollten uns Frankreich und Deutschland näher sein als Kanada und Australien? Ja, warum?

15. Januar 2019

Am 15. Januar 1999 trat ich meine erste Alleinreise nach Holland an, es war ein Freitag ohne Stau, im Tagebuch lese ich von einer Umleitung kurz vor dem Ziel und von 614 gefahrenen Kilometern. Im LandalGreen Park Aelderholt bewohnte ich den Bungalow Nummer 250 für sieben Tage, das Benzin kostete damals zwischen 1,45 und 1,50 Mark. Heute freuen wir uns über 1,35 Euro. Nach drei Silvester-Touren, einem Sommer-Urlaub sowie zwei Tagestouren von Uelsen (Grafschaft Bentheim) und dem belgischen De Vossemeren aus mein siebenter Holland-Aufenthalt. Inzwischen sind elf weitere hinzugekommen. Seltsame Erinnerungen an Telefonate aus der Telefonzelle, wo die Apparate Gulden schluckten, dass man einen Assistenten zum Nachfüllen brauchte. Es funktionierte auch mit der VISA-Karte, war da sogar etwas preiswerter und ohne Geheimzahl-Forderung, wobei die schottische Bank Umtausch-Gebühren veranschlagte, bis das innerhalb der EU verboten wurde.

14. Januar 2019

Wer zu spät liest, den bestraft das Leben mit verspäteter Freude. Beim Nachblättern in den alten Zeitungen der abgelaufenen Woche stoße ich auf eine vierzeilige Überschrift über einem langen einspaltigen Artikel: „Bestseller in den Ilmenauer Buchgeschäften im Jahr 2018“. Und siehe: ich bin da vertreten. Nicht etwa mit meinem 2018 sogar in einem Ilmenauer Buchgeschäft vorgestellten Shakespeare-Buch, sondern mit „Ilmenau von A bis Z“. Das Büchlein läuft also im dritten Jahr immer noch gut, folgere ich zu meinen Gunsten. Zu meinen Ungunsten muss ich feststellen, dass mir die Namen der meisten Bestseller-Autoren nichts sagen. Wo ich von ihnen schon hörte, muss ich bekennen, von ihnen nie etwas gelesen zu haben, die Ausnahmen sind Landolf Scherzer und Steffen Mensching, auch von Isabell Allende las ich vor 30 Jahren einmal etwas, dann nie wieder. Am 14. Januar 1999 verzeichnet mein Tagebuch 2500 aufgeklebte Bieretiketten: zwei volle Ordner.

13. Januar 2019

Wenn ein lokales Anzeigenblatt und ein gerade um seinen Ruf kämpfendes Nachrichtenmagazin eines Schriftstellers gedenken, den eine breitere Öffentlichkeit zu keinem Zeitpunkt zu den Großen rechnen konnte, weil ihm einfach die dauernde Präsenz fehlte, mit denen sonst die schreibenden Alphatiere sich in den Schlagzeilen halten, dann ist das mindestens bemerkenswert. Der knappe Einspalter im ANZEIGER ist als seltsamer Ausrutscher aus eigenen Üblichkeiten zu akzeptieren, der kaum längere im SPIEGEL ist substanzhaltiger, erwähnt Recherchen über den Verbleib des Bernsteinzimmers, nicht allerdings das daraus erwachsene Buch. Als es 2002 erschien im Verlag meines Freundes Reinhard Escher in Gehren, war ich mehr als nur gelinde erstaunt, dass Martin Stade sich auf solch einen spekulativen Stoff eingelassen hatte. Sein Geburtsort Haarhausen war Bahn-Endstation, wenn mein Vater mit mir in den 50ern Mühlberg besuchte, der Rest mit dem Rad.


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