Shakespeare: Was ihr wollt; Hans-Otto-Theater Potsdam

Es gibt Zuschauerinnen mit rasant niedriger Humorschwelle, die schütten sich schon aus vor Lachen, wenn der Vorhang aufgeht. Nun hatte das Hans-Otto-Theater zwar keinen Vorhang im Rennen um die Gunst seiner Premieren-Gäste, wohl aber ein Vorspiel, in dem die Darsteller/innen auf einer Art Kinogestühl Platz nehmen. Das geschieht langsam, es gibt offenbar Animositäten, wer neben wem und neben wem auf keinen Fall sitzen möchte und da es eine Weile dauert, animiert jede sich hebende Augenbraue die nämliche Dame und bald noch anderthalb Begleiterinnen zu sich leise steigernden Ausbrüchen, dass man fürchten musste, selbst bei nur minimal wachsender Grundbelustigung könnte noch vor dem Schlussapplaus der Notarzt nötig werden, die Damen nach einer starken Beruhigungsspritze einer Notoperation am Zwerchfell zuzuführen. Als alles wirklich lustig wurde, schwiegen die Lacherinnen.

Der Narr in diesem "Was ihr wollt" ist eine Frau (Rita Feldmeier), die noch über den puren Shakespeare hinaus eine tragende Rolle mit ihrem Gesang spielt. Wohl dem Haus, das eine solche Darstellerin zur Verfügung hat, denn nicht überall kann man Thomas Quasthoff für diese Rolle engagieren. Zu ihrem Auftakt-Chanson entwickelt sich so nach und nach das Bühnengeschehen, eine erkleckliche Menge von Kostümen schwebt von oben herab und bleibt wie in einer Bergarbeiterkaue auf halber Höhe hängen. Noch ehe freilich alle auch nur einigermaßen komplett in ihre jeweilige Verkleidung geschlüpft sind, schweben die Sachen wieder nach ober, wo sie zwar sichtbar, nicht aber erreichbar bleiben. Das hat den schönen Effekt (Bühne: Hugo Gretler; Kostüme: Marialena Lapata), dass niemand im vollständigen Habitus spielen kann.

Bei Sir Toby (Jon-Kaare Koppe), dem ewig besoffenen Onkel der Gräfin Olivia (Kristina Pauls) sind es ganze zwei Ärmelmanschetten, die seine Handgelenke zieren, der Rest ist Unterhemd mit Krawatte. Bei Maria (Zora Klostermann) fehlt das Kleid über dem Reifengestell untenrum und so reihum. Komik erzeugt also schon, was bei einer Erzkomödie kein Nachteil ist, das Outfit der Akteure. Männer in Unterhosen oder Strumpfhosen besitzen auch in den Augen verwöhnteren Theater-Publikums, das sich in dieser Hinsicht nicht von dem beliebiger Büttenabende mit Männerballett unterscheidet, gesteigerten Unterhaltungswert, wovon hier Sir Andrew (Wolfgang Vogler, dem zusätzlich eine echte Ohrenklappen-Pelzmütze zugeteilt war) und auch Malvolio (Christoph Hohmann) erheblich profitieren. Wer seinen Shakespeare kennt, hat, wenn Hohmann erstmals sein Hosenbein etwas lupft und den Blick auf Gelb freigibt, ein Zusatzvergnügen.

Regisseur Michael Talke nutzt die Übersetzung von Angela Schanelec, die an vielen Stellen schlicht heutiger ist als die bekannten klasssischen Eindeutschungen und damit auch eher Einschübe und Zusätze ermöglicht, die nicht gleich als Fremdkörper wirken. Talke hat einen Substanzkomplex Shakespeares fast komplett eliminiert, das ist die Charakterisierung des Malvolio als Puritaner. Das erlaubt zwanglos zwar das hübsche Bekenntnis von Sir Andrew, er sei lieber eine Politesse als ein Politiker, was auch prompt das fällige Gelächter auslöst, deutet aber auch auf eine entpolitisierende Tendenz der Spielfassung, die man freilich nicht mit Krokodilstränen beweinen braucht. Wir müssen heute nicht mehr unbedingt auf der Bühne sehen, was die gesamte Woche über im Polit-Talk verhandelt wird und nach Monatsende oder schon im Vormonat auch den CICERO umtrieb. Gestrichen ist Fabio, sodass die Kommunikation zwischen den potentiellen Duell-Kandidaten Cesario und Andrew ersatzweise Sir Toby übernehmen muss.   www.hansottotheater.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.

 


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