Max Frisch: Biedermann und die Brandtsifter; Berliner Ensemble

Vor fünfzig und mehr Jahren war das in sehr direktem Sinn ein brandheißes Stück. Frisch, Schweizer vom Jahrgang 1911, nahm schon im Titel des Spiels das ganze Problem vorweg, das er auf die Bühne stellen wollte. Es war ein Problem, dem sich in den fünfziger Jahren kaum eine Öffentlichkeit wirklich aussetzen wollte, sonst wären 1968 und die 68er womöglich nie nötig geworden. Der Biedermann, schnell wieder zu Wohlstand gekommen nach dem Krieg, im Selbstbild nicht nur gut, sondern zu gut und immer in bester Absicht, liefert im Umgang mit den Brandstiftern ein archetypisches Verhaltensmodell. Eine einzige Stelle im „Lehrstück ohne Lehre“, wie Frisch selbst es genannt hat, gibt den fast alles schon auf den Punkt bringenden Fingerzeig: „Das hat er nämlich schon einmal gesagt: Natürlich sind's Halunken, aber wenn ich sie zu meinen Feinden mache, Babette, dann ist unser Haarwasser hin! Und kaum war er in der Partei -“. Babette Biedermann kommt nicht dazu, ihren Satz zu Ende zu sprechen, den 1957 und 1958 auch unvollendet sicher kaum jemand im deutschen Sprachraum missverstehen konnte.

Es ging und geht immer wieder nur ums Haarwasser. In Biedermanns Fall ist es ein Haarwasser, das zu allem ein reines Marketingprodukt darstellt, kein Mittel mit Geheimrezept oder gar eine wirksame Erfindung. Er selbst sagt, man könnte an seiner Stelle auch Urin auf die Glatze reiben. Um seine Produktion nicht zu gefährden, trat er also einst sogar in die Partei ein. Inzwischen reicht es aus seiner Sicht, wenn er sich Brandstifter mit etwas Gastfreundlichkeit, mit einer gebratenen Gans und dazu Pommard, zu seinen Freunden macht. Das verhindert natürlich nichts. Im Gegenteil, die Brandstifter können unter den wachsamen Augen von Gottlieb Biedermann ihr verheerendes Werk in aller Ruhe vorbereiten, sie können Benzinfässer auf dem Dachboden lagern, sie können Zündkabel legen und am Ende brennt es zum Zweck der Ablenkung erst in der Vorstadt, damit zum eigentlichen Großbrand mit explodierenden Gasometern die Feuerwehr möglichst weit weg ist und der Schaden möglichst groß.

Das Berliner Ensemble zeigt seit mittlerweile fast zwölf Jahren die Inszenierung von „Biedermann und die Brandstifter“, die am 12. Mai 2002 Pavillon-Premiere hatte, Regie Cornelia Crombholz, Neufassung später fürs Haus Jutta Ferbers. Noch immer füllen sich Parkett und Ränge, noch immer gibt es lebhaften Beifall und sogar Bravo-Rufe. Und bis auf das Dienstmädchen Anna und und ein Mitglied des Chores der Feuerwehrmänner spielt die komplette Urbesetzung. Wenn das kein Erfolg ist! Am Frisch-Text ist kaum nennenswert gestrichen. Vielleicht hätte die zum Kabinettstück prädestinierte herrliche Stelle in der sechsten und letzten Szene, wo „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ ein ausufernder Angriff auf sämtliche Zwerchfelle zu werden verspricht, das Ganze zum Kippen gebracht, es fehlt nicht. Der Chor aus uniformierten, rotgesichtigen Feuerwehrmännern mit Taschenlampen wird vom mehrheitlich sehr jungen Publikum des Märzabends mit leiser Irritation hingenommen. Sein schon ins Parodistische gedrückter Brechtton kann seine Wirkung natürlich nur dann entfalten, wenn er wahrgenommen wird. Dass Frisch auf eine ganze Tradition zielt, die mindestens bis zu Schillers „Braut von Messina“ zurückreicht und deren Versuch, den antiken Chor wiederzubeleben, geht da sicher vollkommen unter. Doch es sei.

Zu sehen ist eine lebendige Inszenierung, die die Lebendigkeit des Textes ohne jede Gewaltsamkeit unter Beweis stellt. Dieser ins Grotesk-Absurde reichende Text kann ganz oberflächlich ebenso mit Genuss aufgenommen werden wie mit all seinen bösen Abgründen, seinen schwarzen Humoren. Denn Max Frisch macht es seinem Biedermann wie seinen Lesern und Zuschauern ja keineswegs einfach, die Brandstifter als solche zu verabscheuen. Sie sind durchaus sympathisch, sie entfalten durchaus eine gewinnende Rhetorik, sie setzen eine entwaffnende Ehrlichkeit ein, um Täuschung zu erzeugen. Sowohl Schmitz, der Ringer, von Michael Rothmann bezwingend bedrohlich und fast rührend ungeschliffen gespielt, als auch Eisenring, der Oberkellner (Norbert Stöß so diabolisch, wie es das nicht angehängte „Nachspiel“ von 1958 erfordern würde) verkörpern das Böse in einer ganz anderen Banalität als der schon zur Floskel gewordenen, von der Hannah Arendt nur wenige Jahre nach Frisch schrieb. Wenn wir bisweilen Klagen darüber lesen, dass die Bösen der Jetztzeit sich leider nicht mehr an Springerstiefeln und Bomberjacken erkennen lassen, dann wissen wir, warum der Teufel mit Pferdefuß und Schwefelduft uns immer noch der liebste ist.

Thomas Wittmann ist ein Biedermann, der fast die Vorlage übertrifft. Wie er das ganze Charakterbild eines Mannes vorführt, der eben noch das Stammtisch-Großmaul ist, dann über seine eigenen Ahnungen und Erkenntnisse erschrickt, sich immer wieder beruhigt, sich immer wieder ermuntert und wie er Hoffnungen entfaltet, Feigheit, Hartherzigkeit, Jovialität, wie er sich anbiedert und aufschwingt, das ist von der ersten bis zur letzten Szene sehenswert. Claudia Burckhardt als seine Frau Babette setzt dagegen zu sehr auf das Schrille in Ton und Aktion, ist eher eine Heidi Kabel an der Weidendammer Brücke als eine Biederfrau an der Seite des Biedermannes. Wie völlig anders wirkte sie im schwarzen Kostüm des Schlussbildes als in ihrem seltsam verbotenen Rollenkleid. Da hatte es das neue Dienstmädchen Anna (Larissa Fuchs) leichter. Ihr gerieten die eigentlich eher unauffälligen Nebenrollenauftritte fast durchweg zu kleinen feinen Spielhäppchen, ob sie nun kauend auftrug oder Senf auf den Ringer spritzte, ob sie mit dem Kleid ihrer Dienstherrin rang oder den Tisch dekorierte mit Geflügelschere im Holz.

Dass dieser Biedermann seinen Mitarbeiter Knechtling auf die Straße setzte, dass er dessen Witwe nach dem Selbstmord des Mannes wie Luft und jedenfalls ohne das geringste schlechte Gewissen behandelt, war einst wohl herzerwärmende Sozialkritik, beinahe klassenkämpferisch inszeniert. Wer jetzt diese Witwe Knechtling in Schwarz (Britta Jarmers) sieht, Handschuhe mit aufgemaltem Skelett an den Händen, der fühlt sich eher weniger einer zielführenden Agitation ausgesetzt. Frisch ironisiert eben im Grund seinen eigenen kritischen Ansatz immer sofort mit. Die Geschichte gibt ihm in mehr Punkten recht, als ihm vielleicht selbst im Stillen lieb war. So hat er die Differenz zwischen den pseudoproletarischen Brandstiftern Schmitz und Eisenring und ihrem Bündnispartner, um einmal dieses Vokabular zu bemühen, ja fast humorlos als herzliche gegenseitige Abneigung gestaltet. Marko Schmidt als der Dr. phil. hört sich den Ideologie-Vorwurf zeitig an und kontert, als alles zu spät ist, mit seiner Distanzierung. Er mag nicht etwa das Brandstiften nicht, nur der Spaß daran stört ihn. Wem älteren Semesters fällt da nicht ein Wort wie Spaßguerilla umgehend ein?

Eine fast verrückte Moral des Spiels ist schließlich nicht nur die sympathische Seite der Brandstifter, auch Biedermann hat mit sehr vielem, was er sagt und ihn zum Versager macht, letztlich dennoch recht. Es lässt sich eben tatsächlich nicht damit leben, jeden anderen Menschen zu jedem Zeitpunkt als Brandstifter zu verdächtigen. Ganze Buchregale sind heute voll mit Büchern, die vor Panikgesellschaften warnen, ihre fatalen Mechanismen darstellen, Rationalität einfordern. Noch der sicher auch bald der Abnutzung anheim fallende Begriff der Hubschrauber-Eltern wächst aus dem gleichen Urgrund der Brandstifterangst, auch wenn Frisch das natürlich nicht ansatzweise intendiert hat. Das Berliner Ensemble tastete seine Messerbänklein nicht an, den schweizerischsten Partikel des Textes. Vom Tanz auf dem Fass bis zum mühsamen Versuch, aus dem Ringer ein brauchbares Theatergespenst zu machen, wären viele schöne Details zu erwähnen. Das „Nachspiel“ von 1958 ist als ergänzende Lektüre noch immer zu empfehlen, vom Hauptspiel gilt es sowieso.
  www.berliner-ensemble.de


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