Shakespeare: Der Sturm, Nationaltheater Weimar

„Der Sturm“ ist so etwas wie Shakespeares Vermächtnis. Der Meister selbst verabschiedet sich, indem er noch einmal buchstäblich die Puppen tanzen lässt. Der Prospero, den er sich erfunden hat, einst Herzog in Mailand, jetzt einer von zwei Insel-Bewohnern, ergänzt durch zwei Wesen, die Geist sind und auch etwas Fleisch, ist auch Big William selbst. Abschiede sind nicht lustig, sie sind, andernorts formuliert, wie ein kleines Sterben. Weshalb es wohl auch die Regie (Corinna von Rad) nicht geschafft hat (oder unternehmen wollte), diesen Ex-Fürsten in die spielende Spaßgesellschaft ihrer Inszenierung einzureihen. Prospero (Johannes Schmidt) bleibt von Anfang bis Ende ernst, er wechselt nur vom großkarierten zum schwarzen Hemd, mal mit, mal ohne Jackett. Wenn die ideelle Hauptfigur gewissermaßen neben der Musik steht, haben die anderen es leichter.

Mann des Abends dieser Wiederaufnahme ist ohne jeden Zweifel Christian Ehrich als Ariel. Er ist jeden einzelnen Euro Eintritt allein wert, was angesichts der herrlichen Rolle wohl nicht wirklich überrascht, aber man kann auch die schönsten Rollen vergeigen, wenn man es eben nicht kann. Hier ist es mal ein Fuß, der auf den Boden tippt, ehe das Wort Fichte fällt, mal hängen seine auch sonst hängenden Schultern so erbarmungswürdig, dass man ihn in den Arm schließen möchte. Wenn er aber von den Bienen singt und den Fledermäusen und dabei den Hut knüllt vorm Bauch, dann ist das Komödie, gute. Auch wie er die bei Shakespeare mit drei Frauen bestückte Szene (Iris, Ceres, Juno) allein am Tasteninstrument stemmt mit einigen albernen Kleinrequisiten, die vielen vielen Lacher aus dem überwiegend jungen Publikum, sogar ein echter Säugling gab bisweilen im hinteren Parkett Laut, lohnen und signalisieren es.

Das Bühnenbild (Steffi Wurster) stellt einen Schiffsrumpf vor, genauer das untere Heck, mit entsprechenden Möglichkeiten für Auftritte und Abgänge, für Kletterpartien und abrollende Äpfel. Ein Teil war abtrenn- und drehbar, die ohne Pause ablaufende Geschichte benötigte kaum Requisiten. Zwei Darsteller (Nico Delpy und Hagen Ritschel) bewältigten Doppelrollen ohne nennenswerte Kostümwechsel, sie agierten, was diese Idee zusätzlich nicht wie Sparpaket aussehen ließ, mit einer bisweilen betonten Synchronität. Natürlich wird bei Shakespeare nicht gesungen „Es gibt kein Bier auf Hawaii“, schon gar nicht dreimal in Folge. Doch ist die gesamte Geschichte zwischen den beiden Figuren Trinculo und Stephano und dem Caliban (Simon Zagermann mit hohem Eifer) stimmig gelöst. Auch die Art, wie beide als Sebastian und Antonio den hochfliegenden Text des alten Gonzalo (Markus Fennert, gar nicht so alt) in Wort und Geste lächerlich machen, ist stimmig. Die Utopie, in Richtung Publikum vorgetragen, geht dabei als Utopie wohl absichtsvoll unter.

Wenn Karl Albert als König Alonso seinem Gonzalo die Nullität des Weltentwurfs bescheinigt, eine Stelle, an der Deuterherzen regelmäßig höher schlagen und Diskursanalytiker zappelige Finger kriegen, geht das in Weimar im großen Haus schlicht unter. Das geschieht ebenso allem, aus dem einer der großen Shakespeare-Leser, André Müller, die apodiktische Summe zog, es handle sich beim „Sturm“ um das „erste große Kolonialstück der Weltdramatik“. Dieser Weimarer Prospero ist als Humanist mit Ambition großer Manipulator und den daran hängenden Skrupeln eines wach bleibenden Gewissens nicht erkennbar. Sollte er wahrscheinlich auch nicht sein. Die Regie setzte und das mit Konsequenz, auf das Komische der Komödie, nicht auf ihre Abgründe, nicht auf das Changieren von Traum und Wirklichkeit, von Traum im Traum. Das muss man nicht klein reden. Denn wenn es insgesamt funktioniert, und das scheint es, dann soll es sein.

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.


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