Shakespeare: Das Wintermärchen, Nationaltheater Weimar

Also bei Shakespeare sind da zwei Könige. Der eine, Leontes, ist König von Sizilien. Der andere, Polyxenes, ist König von Böhmen. Böhmen liegt bei Shakespeare am Meer. Hier setzt die Regie von Lisa Nielebock ein. Sie fand das offenbar geographisch unzumutbar und verlegte Böhmen unters Meer. Nicht unter Wasser natürlich, da hätte man die Sprechblasen wohl nur gesehen, nicht aber gehört. Sondern unter ein Regenmeer. Klimatisch, sollte das wohl heißen, ist Böhmen, verglichen mit Sizilien, so etwas wie die Lofoten. Deshalb essen sie in Böhmen auch besonders gern Wassermelonen, während sie in Sizilien Red Bull trinken und Wodka ohne Etikett, vermutlich preiswert aus der Tschechischen Republik importiert, ehe die ihre gepanschten Spezialitäten vom Markt nehmen musste.

Böhmen aber kommt erst nach der nicht vorhandenen Pause. Erst ist Sizilien. Sizilien ist schwarz und hat keine Aus- oder Eingänge. Deshalb müssen alle acht Darsteller, nachdem sie einmal durch eine Seitentür des Parketts erschienen sind, auf der Bühne bleiben. Bei Shakespeare, wo es fünf Aufzüge und in jedem mehrere Szenen gibt, verschwinden natürlich die Darsteller, die nichts zu sagen und zu tun haben, jeweils. Bei Lisa Nielebock müssen sie alle in dem nach vorn offenen schwarzen Kasten bleiben. Nur Leontes (Johannes Schmidt) darf noch einmal kurz raus, um den Brief des Orakels aus Delphi zu holen, den dann Paulina (Mirjam Smejkal) verlesen darf unter Zuhilfenahme von Polyxenes (Markus Fennert), der gar nicht da ist, aber den Text kennt, also quasi souffliert. Bühnenbild und Kostüme (Sascha Gross) sind vor allem budgetschonend. Wer eine positive Formulierung lieber mag, dem sei das als Minimal Art nahegelegt.

Die beiden Könige kennen sich von Kindesbeinen, man besucht sich gegenseitig, es scheint, als ob der König aus Böhmen unterm Regenmeer deutlich lieber in Sizilien weilt als umgekehrt der andere in Böhmen. Der Böhme ist schon ewig da und will nun endlich wieder nach Hause, aus unerfindlichen Gründen will der Sizilianer, dass er noch bleibt. Die Verlängerungswoche wird ausgehandelt, wobei die Überredungskunst der Königin Hermione (Caroline Dietrich) erfolgreicher ist als die ihres Bühnengatten, was diesen aus heiterem Himmel (also bei Shakespeare wäre ein Himmel durchaus vorstellbar) zu einem rasend Eifersüchtigen macht. Also bei Shakespeare rast er vielleicht, bei Lisa Nielebock rast niemand. Vor der Pause, die ausfällt, ist überhaupt so gut wie keine Bewegung auf der Bühne, nach der Pause wird es nur unwesentlich besser. Wer eine positive Lesart dafür haben möchte, könnte sich einreden, die Regie habe den Text zu vollster Wirkung kommen lassen wollen, wovon Spiel, Szenerie, Requisite herkömmlich immer nur ablenken.

Das Blöde an den Shakespeare-Texten ist nur, dass sie einfach weder zu High Heels noch zu Miniröcklein oder Kapuzenbademänteln für Könige passen wollen. Mitten in diesen Texten treiben einzelne Vokabeln, die wie Fremdkörper in der gespielten und gesprochenen Belanglosigkeit wirken. Früher hätte man solche Wörter Bedeutungsträger genannt, sie wären als Verweisungen zu deuten gewesen auf das, was olle Willi aus Straford on Avon „eigentlich“ sagen wollte. Hier aber vermittelt sich vor allem das Gefühl, dass die Regie sich nicht entscheiden wollte. Das Nichtspiel der ersten Hälfte langweilt fast tödlich, es ist nicht einmal anregend, die Darsteller zu beobachten, die jeweils nichts zutun haben. Es sei, man findet es toll, wenn Nico Delpy zwischendurch aussieht, als müsste er nach der Vorstellung noch rasch eine Blues-Brothers-Parodie spielen und wollte die Zeit zum Umziehen sparen. Mirjam Smejkal ist vermutlich stolz auf ihre extreme Schlankheit, doch ob es wirklich eine Idee ist, über die Bühne zu staksen wie eine Störchin im nicht vorhandenen Salat, sei dahin gestellt. Sie hat eigentlich eine wunderbare Rolle. Sie könnte weibliche Stärke vor Königen zeigen, Resolutheit, pfiffiges Argumentationstalent.       www.nationaltheater-weimar.de

Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.


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