Horvath: Geschichten aus dem Wiener Wald, Deutsches Theater Berlin

Michael Thalheimer wollte dem Text Horvaths offenbar größtmögliche reine Wirkung zuteil werden lassen und verwandelte die „Geschichten aus dem Wiener Wald" in ein Bühnenhörspiel. Wobei er die Zuschauer zunächst mit einer ausgespielten und immer lauter werdenden Walzermusik von der blauen Donau und dem fast bis zum Exzess getriebenen Stummfilmslapstrick, in den sich Oskar (Peter Moltzen) mit den Bonbons in seiner Jacke verwickelt, auf eine falsche Spur führt. Was nach szenischem Einfallsfurioso vorschmecken, nach atmosphärischer Zeitkoloritmalerei klingen könnte, es wird nachfolgend enttäuscht. Fortan gibt es auf der schwarz ausgeschlagenen kahlen Bühne im Hintergrund sitzende Darsteller, die für ihre jeweilige Sprechszene nach vorn kommen und dann wieder nach hinten abgehen.

Der Text wird eher deklamiert, es ist nicht viel gestrichen, am ehesten noch in der Szene im „Maxim“, wo es mit dem minimalistischen Sprechen nun wirklich am wenigstens funktionieren würde. Und genau dort passiert etwas, das wieder falsche Erwartungen zu wecken inszeniert ist. Es rieselt Flitter von oben, während die Marianne (Katrin Wichmann) mit entblößtem Oberkörper still steht. Das Publikum hofft nun wohl wieder auf Spiel, was ein Fehler ist, in der Reihe vor mir schlafen einige Herren bereits, in der Reihe hinter mir sagt eine junge Frau: „Das ist ein fürchterliches Stück.“ Ich hätte nicht geglaubt, dass ich mich ausgerechnet bei diesem so saftig-abgründigen Horvath nach dem Ende sehnen könnte, weil er mir zu lang erscheint.

Das Theater ist offenbar doch kein Radiosaal, in dem man aus unerfindlichen Gründen die Sprecher sieht. Irgendetwas müssen die Darsteller tun, weil es sie vermutlich sonst innerlich zerreißt und so kommt, arme Frau, die gestandene Simone von Zglinicki als böse Großmutter, die schließlich den kleinen Leopold erfrieren lässt, auf die wahrlich kleine Idee, das Bein zu schwenken wie weiland Hurvinek im Dialog mit seinem Vater Spejbl. Es saßen im Parkett und auf den Rängen zur zweiten Premiere sicher einige Menschen, die sich an dieses tschechische Puppenpaar erinnert fühlten.

Der bühnenbildfreie Ablauf gliedert sich szenisch von Anfang bis Ende durch den Gang der Darsteller zur Rampe und wieder zurück. Erst ziemlich gegen Ende drehte die Bühne die Sitzgruppe nach vorn. Auffällig war bis auf die Lacher am Anfang die weitestgehende Reaktionslosigkeit des Publikums. Aufgesagte Texte wirken offenbar nicht. Ganz sicher sollten sie das nicht, sonst wäre dies nicht das Deutsche Theater Berlin an der Schumannstraße, sondern vielleicht die Spielschar der Gesamtschulabiturienten aus Knösel an der grauen Luppe. Die Bravorufe am Ende sprechen nicht dagegen. Berlin ist groß genug und voll genug mit potentiellen Bravorufern für fast alles.

Der Text Ödön von Horvaths ist makellos, es wird den 75. Todestag am ersten Juni nicht brauchen, um diese Tatsache fortwirkend zu verbreiten. Der Text bietet auch Spielmöglichkeiten in Hülle und Fülle, man muss gar nicht dem Film mit dem dicken Qualtinger entgegen inszenieren. Und ausziehen muss sich die Marianne schon gar nicht, nur weil sich damals die Marianne auszog, wie von Horvath gewünscht. Wenn freilich die Rampe zu erreichen und zu verlassen gewissermaßen die einzige Möglichkeit für darstellerischen Körpereinsatz bietet, wie es Thalheimer seinen Spielern abverlangt, dann kommt heraus, dass plötzlich und durchaus stückfern die Trafikantin Valerie (Almut Zilcher) zur Hauptperson des Abends wird.

Der Strizzi Alfred (Andreas Döhler) erschreitet seinen ersten Textpassus mit übertriebenem Model-Gang, die Trafikantin folgt ihm fast noch übertriebener, man fürchtet um Gleichgewichtsverluste durch verlagerte Körperschwerpunkte. Aber die Spannung lässt nach, sie lässt nach, je länger sich das Schema der Auftritte wiederholt, besonders betroffen sind Kenner des Textes, denen das Restvergnügen der unbekannten Handlung genommen ist. Ihnen könnte szenische Erfindung über die Runden helfen, eben auf die aber hat es diese Bühnenlesart nicht abgesehen.

So bleibt halbwegs in Erinnerung der Kasseler Erich des Moritz Grove und mit ihm allerdings auch die Frage: War der gefährlich? Konzentrierte sich in ihm Horvathsche Hellsicht auf kommende deutsche Entwicklungen? Ist das scheinbare Übereinstimmen der Trafikantin mit dem Jus-Studenten in Sachen Juden ein Blick in einen Abgrund oder eine Folge zweier Sätze, die vom dritten und vierten schon wieder in die Vergessenheit geschoben werden? Provokativ verzichtet das Deutsche Theater nicht auf den Untertitel „Volksstück“, dagegen durchweg auf jeden Versuch mit Dialektbilligkeiten. Was ist des Volks in diesem Stück? Das auch den Rittmeister (Harald Baumgartner), den Amerikaner (Jürgen Huth) und die Mutter (Katrin Klein) hat.

Schöne Momente hat die Inszenierung natürlich, die Darsteller geben ihren jeweiligen Texten schon  Wirkung und Nachdruck. Der Zauberkönig (Michael Gerber) ist schlank und unbelehrbar mit seinen Luftballons in der Hand, der Metzger Havlitschek (Henning Vogt) trägt eine blutige Schürze, spuckt Wurst und klingt, als wolle er nebenher noch an Haarmann erinnern. Georgia Lautner als Ida setzt einen kleinen feinen Lichtpunkt. Ganz am Rande würde mich interessieren, was eine Bühnenbildhospitantin (Luise Ehrenwerth) so auf die Festplatte speichert, wo gar kein Bühnenbild vorhanden ist.

Katrin Wichmann sah ich kurz zuvor erst als Dunjascha im „Kirschgarten“. An ihr am ehesten noch schimmert jene spezifische Abgründigkeit in Rabenschwärze, wie sie Horvath eignet, durch. Wie sie erfährt, dass der kleine Leopold tot ist, wie sie steht neben dem dicken Oskar, dessen Liebe sie nicht entgehen kann, das hat das passende Etwas. Die Idee mit den Pappmasken, die Marianne ist die letzte, die ihre vors Gesicht nimmt, könnte den finalen Pessimismus symbolisieren, dem Horvath durchaus nicht fernstand. Meine Liebe zu vordergründigen Symbolen hält sich freilich in Grenzen.Wie auch der Schlussbeifall nicht den Theaterraum zum Vibrieren brachte.
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