Tagebuch

13. Juli 2024

Kurt David war einer jener Autoren meiner Kindheit, deren Bücher mich faszinierten. „Im Land der Bogenschützen“, „Der singende Pfeil“, „Der schwarze Wolf“, „Tenggeri“ - das las ich gefesselt von den spannenden Geschichten und den fernen Schauplätzen. Heute wäre sein 100. Geburtstag. 70 Jahre alt ist heute Chaim Noll, der früher einfach Hans Noll war und Sohn von Dieter Noll, dem nach dem ersten Band von „Werner Holt“ nichts mehr gelang, dessen „Kippenberg“ verlogenem Jubel begegnete. „Der Abschied. Journal meiner Ausreise aus der DDR“ heißt das einzige Buch von Hans Noll, das ich je kaufte, es hebt zwei Tage vor meinem 31. Geburtstag an und endet mit dem 3. Mai 1984. Es ging schnell für ihn, schneller als für meinen Freund Uwe, der warten musste. Den sehe ich heute auf dem Weg nach Marienbad, wo ich mich voraussichtlich nicht in eine 17jährige verlieben werde, obwohl ich das vorbildliche Alter dazu erreiche. Hier erst einmal eine Sendepause.

12. Juli 2024

Warum in die Ferne schweifen? Sieh, der Gute liegt so nah: auf dem Hauptfriedhof Eisenach ist sein Grab zu besichtigen, sind am heutigen 150. Todestag Blümlein abzulegen oder dergleichen. Fritz Reuter, der Niederdeutsche, der auch ein Hochdeutscher war, starb zu Füßen der Wartburg, wie man sagt, obwohl die Wartburg keinerlei Füße hat, schon gar nicht zwei. Bis in meine nun wirklich nicht armselige Bibliothek hat es Reuter nicht geschafft, auf einer Analytiker-Couch würde ich vermutlich kaum vernünftige Gründe dafür ausplaudern können. Immerhin hat ihn auch Georg Lukacs in seinem lange kanonischen Buch „Deutsche Realisten des 19. Jahrhunderts“ dezent außen vor gelassen. Ich erinnere mich aber sehr gut, dass mein alter Freund IM Fischer des öfteren seine Neigung zu Fritz Reuter kundgab, als ich noch nicht wusste, dass Manne IM Fischer war. Ach ja, die schlechten alten Zeiten. Heute in den guten gießt es, blitzt es und donnert, Rechtsstaat eben.

11. Juli 2024

Kaum ist meine Hausärztin im Urlaub, muss ich eine ihrer Vertretungen aufsuchen, weil wie immer meine Tabletten nicht alle bis zum nächsten Termin reichen. Diesmal geht nur eine von Fünfen zu Ende, aber ein Rezept brauche ich auf alle Fälle. Und siehe, nachdem ich meine Wartezeit auf der Treppe leidlich gut verbracht habe, erhalte ich das erste elektronische Rezept meiner späten Patientenlaufbahn. Ich muss nur ein Viertelstündchen oder zwanzig Minuten warten, was vor der Tür der Apotheke nur mäßig interessant ist. Um die Papierersparnis mit dem Rezept auszugleichen, muss ich zwei Formulare in Überweisungsgröße unterschreiben, damit das Rezept auch ordentlich als Urlaubsvertretungsrezept geführt werden kann im Bundesamt für Rezeptüberwachung. Das ist Deutschland. So erwähne ich nur eben noch den guten alten Pär Lagerkvist, der anno 1951 den Nobelpreis für Literatur erhielt, vor 50 Jahren starb und der 4. Schwede war, dem noch 4 folgten.

10. Juli 2024

Erich Mühsam starb heute vor 90 Jahren seinen elenden KZ-Tod. Seine Tagebücher füllen in der Ausgabe des Verbrecher Verlags 15 Bände. Ich gebe mich ausdauernd mit den drei dicken DDR-Bänden des Verlags Volk und Welt zufrieden, kaufte vor Jahren noch die Streitschrift nach, die den schlichten Titel „Die Homosexualität“ trägt, eingeführt von Walter Fähnders, den ich wiederum aus Studienzeiten kenne, als Peter Ludewig ständig seinen Namen und den von Martin Rector im Munde führte. Es ging um das zweibändige Werk beider: „Linksradikalismus und Literatur“. Ich war so lange angesteckt, dass ich noch gegen Ende der DDR mit Aussicht auf Erfolg versuchte, eine Oskar-Kanehl-Ausgabe in einem wichtigen Berliner Verlag unterzubingen. Das Hinscheiden der DDR machte den Plan überflüssig, zwei Materialmappen aus Greifswald lagen noch jahrelang bei mir herum. Auf dem Rückweg aus Pennewitz heute Friedhof in Gehren. Viel auffällig umgestaltet.

9. Juli 2024

Kafkas „Brief an den Vater“ las ich vor 20 Jahren zu Ende und vertiefte mich anschließend in seine „Briefe an die Eltern aus den Jahren 1922 – 1924“. Zu später Stunde vollzog ich den Zerfall der Sowjetunion innerhalb meines Archivs verspätet nach, sortierte die nun selbständigen Republiken aus in diverse andere Ordner. Aitmatow war zwar immer ein Kirgise gewesen und Bykau ein Weißrusse, bis zum 9. Juli 2004 aber standen sie friedlich vereint in den grünen Centra-Ordnern, einzig vom Alphabet an ihren Platz diktiert. Wachstum kommt ohnehin viel spärlicher als früher, meine Neugier auf früher verbotene oder unerwünschte Literatur aus Kasachstan oder dem Kaukasus glimmt allenfalls. Das heute einer von nur vier „weißen“ Tagen im Terminkalender für Juli ist, halte ich fest, zwei kommen noch und da befinde ich mich außer Landes ohne dringliche Schreibverpflichtung. Meine Fühmann-Bestände umsortiert, die Rostocker Werkausgabe nach vorn.

8. Juli 2024

„Vor 40 Jahren starb Franz Fühmann“ ist mein bereits neunter Text über ihn, den ich seit Januar 2012 ins Netz stellte. Will sagen: ich komme immer wieder auf ihn zurück, weil ich gern auf ihn zurückkomme. Dennoch ärgere ich mich auch regelmäßig, weil andere Namen, die mir wichtig waren und sind, bei mir scheinbar nicht oder nicht ausreichend repräsentativ vorkommen. Eine gebremst freundliche Dame in Rudolstadt fragte mich einst, warum ich keine Rubrik „Mein Schiller“ hätte, nur „Mein Goethe“. Die Antwort wäre gewesen: ich habe mehr zu Schiller und Kleist gemacht als zu fast allen anderen. Aber die großen Jubiläen, die Anlass und Gelegenheit boten, lagen eben 2005, 2009 und 2011, als ich meine Website noch nicht betrieb. Meine Vorträge hielt und halte ich in aller Regel frei, da gibt es keine Skripte. Kann sein, dass der Anteil DDR wächst, je länger sie hinüber ist. Weil ich wissen will wie das war, in dem ich wuchs und wurde.

7. Juli 2024

Lion Feuchtwanger stand nie auf einer Spiegel-Bestsellerliste, keine Buchhandlung musste den kleinen Aufkleber auf ihre Exemplare im Bestsellerregal gleich neben der Tür kleistern, damit auch die Rat- und Ahnungslosen wissen: Hier zuschlagen, das müssen alle lesen, damit sie mitreden können, wenn sie sich im Club der gehobenen Gattinnen treffen. Dazu kommt, der Lion hat auch ein Buch geschrieben mit dem verräterischen Titel „Moskau 1937“, das macht ihn zu einem zu früh gestorbenen Putin-Versteher. Heute ist sein 140. Geburtstag. Der Greifenverlag zu Rudolstadt druckte 1956, als er noch lebte, die Auswahl „Centum Opuscula“, im Klappentext als „Hundert kleine Werke“ erläutert. Darin sind unter anderem auch Theaterkritiken, weshalb ich das Buch vor Jahren erwarb. Das Lesebändchen steckt derzeit bei Schillers „Die Braut von Messina“, was mich an ein uneingelöstes Versprechen erinnert. Welches das ist, weiß nur der, dem ich es versprach: ich.

6. Juli 2024

Nun sind alle meine Lieblingsmannschaften ausgeschieden. Also die, die einigermaßen deutsch sprechen: Schweiz, Österreich und natürlich Schland. Also Deutschland. Wenn Prinz William im Stadion ist, schwenkt die Kamera hie und da einmal auf ihn, wenn Erdogan da ist oder Orban, muss die Kamera geölt werden, weil sie sich nicht schwenken lassen will. Und Bernhard Schlink, der Schlink aller Schlinke, wird heute 80 Jahre alt. Professor und Hyper-Bestsellerautor, das spült Kohle in den Kohlekasten ohne Ende. Ich gestehe, kein einziges Buch von ihm zu besitzen oder gar gelesen zu haben, ich sah wohl die Verfilmung von „Der Vorleser“, wenn ich mich recht erinnere. Das war es aber auch schon. Dennoch finden sich in meinem Archiv diverse Beiträge zu ihm, in den noch unsortierten Haufen von Ausschnitten sicher weitere. Bei Wikipedia kann man jederzeit nachlesen, wann und wie lange ein Schlink auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stand: Hut ab!

5. Juli 2024

„Heinrich und Kleo auf Reisen“ heißt ein Kapitelchen in Manfred Gebhardts Buch „Die Nackte unterm Ladentisch. Das Magazin in der DDR“. Darin geht es um Heinz Kahlow und Gattin, die über viele Jahre in Kahlows Reisefeuilletons eben als Heinrich und Kleo fungierten. Als ich sehr schweren Herzens meinen aus der Erbmasse stammenden vollständigen Magazin-Bestand der Jahre  1954 bis 1990 ausschlachtete, sammelte ich auch diese Kahlow-Arbeiten heraus. Das einzige Buch, das ich je von ihm las, war „Das Dekameronical“, fünf musikalische Stücke nach dem unsterblichen Giovanni Boccaccio. Das war im August 1978 kurz vor Beginn meines vierten Studienjahres in Berlin. Da gab er es an einer Stelle damaligen Berufskritikern, „die immer einige Zeit abwarten, ehe sie ein vorschnelles Urteil äußern.“ Wir wissen längst, dass die Berufskritiker der DDR keineswegs zuerst oder gar allein immer ihre eigenen Urteile äußerten. Heinz Kahlow wäre heute 100 Jahre alt.

4. Juli 2024

Noch ist es mir nicht gelungen, einmal allein über Hedda Zinner zu schreiben und sie nicht nur zu erwähnen in anderen Zusammenhängen. In ihrem Band „Der Teufelskreis und andere Stücke“ signalisiert mir ein sehr massives Lesezeichen vor der dreiaktigen Komödie „Was wäre, wenn...?“, dass ich hier ein Thema fand, was mir lohnend erschien. Das Werk erlebte zwischen dem dritten und dem siebenten Oktober 1959, quasi anlässlich des zehnten Jahrestages der Gründung der DDR, eine so genannte Ring-Uraufführung an insgesamt elf Theatern. Ich weiß nicht, wie oft dergleichen vorkam, im Oktober 1959 saß ich gerade meine ersten fünf Wochen in der Schule, ich wusste wohl nicht einmal, was ein Theater ist. Dennoch sah ich einmal Hedda Zinner in Bad Saarow, wo unser Ferienheim eine Lesung mit ihr organisiert hatte. Meine Suchmaschine bietet mir wahlweise den 1. oder den 4. Juli (1994) als Todestag, auf ihrem Grabstein steht der 1. Juli. Glauben wir dem Stein.

3. Juli 2024

Nach dem dritten Frühstück zahle ich unsere Rechnung. Ernst Fischers 125. Geburtstag heute rutscht mir durch, Manfred Bielers 90. steht rechtzeitig im Netz. Der Teeladen am Markt öffnet erst um 14 Uhr. Wir fahren eine wilde Strecke bis zur A 38, kommen sehr gut durch. Die Frau an der Rezeption meint, viele würden nach Navi in die Elbe fahren. Der Blick auf den Jubiläumskalender zeigt ganze vier weiße Tage, dafür drei Tage mit zwei, einen gar mit drei Namen, zu denen ich, wenn mein Tag 48 Stunden hätte, schreiben könnte und meist auch würde. Überraschender Anruf heute von einem, den eine Operation in die Situation versetzte, in Ruhe in meinen Büchern zu lesen, die er alle kaufte, als sie neu waren. Ja doch, ein paar treue Leser habe ich. In Quedlinburg kam ich nur am Morgen zum Lesen, Franz Fühmann hat meine aktuelle Aufmerksamkeit und wird sie, wann immer sich Gelegenheit bietet, neu auf sich ziehen. Acht Beiträge von mir zu ihm schon im Netz.

2. Juli 2024

Anfang März vorigen Jahres wohnten wir direkt am Ständerhaus, heute sahen wir uns nach dem Frühstück das eindrucksvolle kleine Fachwerk-Museum dort an. In der oberen Etage Gefühle wie auf hoher See, der Fußboden ist uneben wie nur irgend denkbar in einem 800 Jahre alten Haus. Nächstes Ziel der Domschatz auf dem Berg, den wir noch nicht sahen. Der Name der Heiligen Corona treibt einen Besucher dazu, eine der Aufsichtspersonen mit einem nicht enden wollenden Vortrag über die Pandemie zu belästigen in einer Lautstärke, dass die halbe Kirche mithören kann, Dialekt aus dem Westen. Natürlich aus dem Westen, möchte ich meinen. Abends dann der Festakt mit Oberbürgermeister, Kulturstaatsminister und einem gut getimten Programm: die Reden nicht zu lang, eindrucksvoll die Liebesgeschichte in Briefen zwischen Klopstock und Meta Moller, gelesen von Astrid Kohlhoff und Silvio Beck. Astrid Kohlhoff gibt mir anschließend ihren Programmablauf.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround