Tagebuch
27. Mai 2024
Auch in Herouville wohnten wir damals in einem Ibis Hotel, sahen vorher noch Honfleur, Trouville und Deauville, was Erinnerungen an diverse französische Filme weckte. Mein Tagebuch hält das armseligste Abendessen in einem Hotel seit Ewigkeiten fest. Für vier Abende kauften wir in einem Carrefour drei Flaschen Corbières, ich fand auch normannische Biere für die Sammlung. Heute 150. Geburtstag von Richard Schaukal, zehn Jahre weniger bei Max Brod, zwanzig Jahre weniger bei Dashiell Hammet, dazu noch ein Todestag für den alten Österreicher Fritz von Herzmanovsky-Orlando, der am 27. Mai 1954 nahe Meran in Südtirol starb. Die Wahlergebnisse von gestern halten unseren Oberbürgermeister sicher im Amt, unsere Landrätin muss in die Stichwahl für ihre nächsten sechs Amtsjahre. Beide werden ganz sicher Schwierigkeiten haben, irgendwelche halbwegs stabilen Mehrheiten hinter sich zu bringen. In Ilmenau hocken jetzt neun Listen im Stadtrat für 46 Sitze.
26. Mai 2024
Kleiner Rückblick: Vor 20 Jahren starteten wir von Mönchengladbach aus in Richtung Normandie. Zunächst im Auto nach Gladbach, Zwischenübernachtung. Dann zur nächsten in Rouen. In Rouen sahen wir mit französischem Kommentar das Champions League Finale in Gelsenkirchen zwischen dem FC Porto und dem AS Monaco, 3:0 für Porto am Ende. Der Reiseleiter vermutete in mir einen Tierarzt, er war ein Hauptmann der Reserve, der Trompetensignale bevorzugte. Im Kalender für heute Franz Pfemfert, der vor 70 Jahren starb und vor allem mit „Die Aktion“ zu Ruhm gelangte, und Charles Sealsfield, der vor 160 Jahren starb und einer der Lieblingsautoren meines Vaters war. Eigentlich hieß er Postl und war nicht verwandt mit den Postls in Mühlberg, mit denen ich als Kind spielte. Zum Wahllokal in der Ziolkowski-Schule ging es wegen der Langzeitbaustelle durch einen Nebeneingang. Nur vier verschiedenfarbige Zettel zum Ankreuzen, acht Kreuze insgesamt für uns.
25. Mai 2024
Sagen wir so: Tränen der Rührung rollen mir nicht in den Bart angesichts der 75 Jahre Grundgesetz, zumal mir Haupt- und Staatsnachrichten nahelegen, zu jener seltsamen Minderheit zu gehören, die diesem Grundgesetz einst entnahmen, das deutsche Vereintvolk habe sich eine Verfassung zu geben nach dem Ineinanderstürzen sämtlicher Schwestern und Brüder inklusive aller Diversen, von denen wir damals nicht ahnten, dass es sie gab. Als wäre es darum gegangen, etwas DDR hineintropfen zu lassen in den Urtext. Aus Unrechtsstaaten tropft es nicht. Aber: es hätte ein Anlass sein können für Denkprozesse, deren ausdauernde Abwesenheit wir heute durchaus bedauern, wenn es um die so genannte Bilanz geht. Es ist über weite Strecken Scheiße gelaufen und immer sind es Westdeutsche, die sich erregen, dass nicht alle alles so toll finden wie stets sie selbst. Immer noch sagt eine starke Masse tonangebender Figuren „dieses Land“, nicht „unser Land“, ähnlich wie am Ende der DDR.
24. Mai 2024
Fritz Martin Barber gehört nicht zu den auffällig vielen ehemaligen DDR-Autoren, die zwar 1954 geboren wurden, das Datum aber so geheim halten, dass weder Wikipedia noch sonst eine Quelle den Feierbiestern unter uns erlaubt, ihnen zu ihrem 70. Geburtstag öffentlich oder intern ein langes Leben zu wünschen. Bei Barber, der heute 70 würde, käme der Wunsch ohnehin zu spät, er ist am 28. Dezember 2021 bereits gestorben, nach der leider so häufigen langen schweren Krankheit. Bei mir steht Barber mit seinem Poesiealbum 234 neben Gabriele Eckart. Zweimal war ich mit ihm in einem Buch: in „Offene Fenster 4“ und „Offene Fenster 5“, einmal sogar auf einer Druckseite (156). Ob ich ihn auf einem der beiden Poetenseminare traf, an denen ich teilnahm, 1974 und 1975, weiß ich nicht mehr. Ich war bei Gerd Eggers und Martin Viertel im Seminar, mit beiden wäre heute kaum Prestige zu gewinnen. Doch ist jenseits der 70 das Prestige unter den überschätzten Größen.
23. Mai 2024
Gut ein Jahr ist es her, dass ich in den Tagebüchern von Brigitte Reimann den Jahrgang 1968 las, ebenso in den Briefen, die sie an ihre Eltern schrieb. Heute steige ich in den Jahrgang 1969 ein, viel folgt dann nicht mehr. Zu Ende bin ich mit „Franz Kafka“ von Franz Baumer, ein wenig über Kafka liegt noch umher, worin ich lesen werde, vor allem in „Kritik und Rezeption zu seinen Lebzeiten“, das ist hundert Jahre später höchst interessant. Meine neue Magen-Tablette am Morgen nüchtern, mal schauen, was sie bewirkt. Vom Aussetzen einer meiner sonstigen fünf Morgentabletten für eine ganze Woche keinerlei Wirkung. Es ist die einzige, für die ich kein Rezept benötige. Vor 30 Jahren Besuch des Buchautors Franz Rittig bei mir, ich war für Verleger und Autor so etwas wie der Lektor und Korrektor. Auch Verfasser des Klappentextes, der bis heute der einzige blieb, den ich schrieb. Der Verleger ist in die Anonymität entschwunden, nachdem er aus Ilmenau gen Harz zog. Schade.
22. Mai 2024
Diese Wette hätte ich glatt verloren. Ich war fest überzeugt, „Meine hochgeborene Herrschaft“ von Maria Edgeworth gelesen zu haben: vor vierzig Jahren. Stimmt aber nicht. Das schmale Büchlein steht also noch immer in der Hoffnung, von mir nicht nur in die Hand genommen zu werden. Die Irin starb heute vor 175 Jahren und hat sogar Sir Walter Scott beeinflusst, von dem ich allerdings wirklich etwas las vor vielen Jahren. Und jetzt in „Waverley“, wo er sie erwähnt. Es gibt Autoren, denen diese eine Information für ihre armseligen Zeilen zu Edgeworth in ihren Literaturgeschichten ausreicht. Kurz nach 11.30 Uhr wurde ich aus dem einen Raum in den zweiten gerollt: liegend, mit Venenzugang und Messgeräte-Anschluss. Als ich erwachte, war alles vorbei, ich hatte keinerlei Erinnerung an meine Gastroskopie, genau wie im Aufklärungsbogen angekündigt. Es wurde eine Gewebeprobe entnommen, die ungarische Ärztin klang wenig besorgt, ich klinge gern so ähnlich.
21. Mai 2024
Einmal schrieb ich über Klaus Mann, es ist fünf Jahre her, anlässlich des 70. Todestages. Zweimal schrieb ich über Boris Wassiljew, es ist mehr als 35 Jahre her. Als Klaus Mann sich 1949 das Leben nahm, feierte der in Smolensk geborene Russe eben seinen 25. Geburtstag und es folgten noch eine Menge Geburtstage nach, er starb erst 2013. Bei Marcel Reich-Ranicki finde ich über Klaus Mann den Satz: „Dieser Selbstmord war die unvermeidbare Folge seines ganzen Lebens – und nicht eine unmittelbare Reaktion auf aktuelle politische Zustände.“ Und den auch: „Er war nicht nur der Sohn Thomas Manns, er spielte ihn auch.“ Und den: „Nicht einer seiner Romane lässt sich von argen Geschmacksentgleisungen freisprechen, bisweilen geriet er auf die Ebene der Trivialliteratur.“ Das Buch „Thomas Mann und die Seinen“ liegt weiter in Griffnähe. Nicht wegen Klaus, sondern wegen Golo Mann. Der muss nur warten, denn im Vorüberhuschen ist zu dem einfach nichts auszurichten.
20. Mai 2024
Balzac, der berühmte Honoré de Balzac, kam heute vor 225 Jahren in Tours zur Welt, damals war nur nicht Pfingstmontag. Heute füllen viele Balzac-Bände mein Frankreich-Regal, etliche aus der Erbmasse, etliche von mir selbst gesammelt. Zu systematischer Lektüre bin ich nie gekommen, wohl aber in das ihm gewidmete Museum in Paris. Und sah natürlich auch das Balzac-Monument im Musée Rodin in Paris und alles, was dazu gehört. Meine Mutter umgab gern die „Tolldreisten Geschichten“ mit dem Anstrich des Geheimnisvollen, „Verlorene Illusionen“ standen in Gehren immer neben „Glanz und Elend der Kurtisanen“. Es gab auch „Die sehr sonderbaren Geschichten“. Mit „Da geht Kafka“ kam ich am Balaton nur jeden Morgen leicht voran, dafür lese ich morgen das zwölfte und letzte Kapitel. Johannes Urzidil kommt auch darin immer wieder auf seinen Goethe zu sprechen, was zu „Goethe in Böhmen“ natürlich passt. Dort fehlen mir noch eine paar mehr Seiten.
19. Mai 2024
Nicht weniger als fünfmal die 10.000 Schritte in diesem Urlaub, am Budapest-Tag sogar mehr als 17.000. Das große Auspacken der Koffer erst heute, gestern hielt uns noch der letzte Spieltag der Bundesliga leidlich in Atem. Bis spät Berichte überall, auf WDR sogar noch eine Sendung nach der Sendung. Die Wahlwerbung erfrischend. Die Linke lädt schon für 24. Mai ein zur Kommunalwahl. Ob zwei Tage zu früh eigens für unsere Gerechtigkeits-Molche Wahllokale etwa geöffnet werden, ist unsicher, wir anderen wählen die restlichen Parteien erst am 26. Mai. Am Abend schauen wir uns den Krimi von vorigem Sonntag an, Claudia Michelsen muss einen erzdummen Satz sagen und die Regie patzt mehrfach grob. Nicht immer ist es gut, Gesinnung aus dem Fenster baumeln zu lassen. Es guckt ja keiner mehr, ob die Beflaggung stimmt. Der böse Orbán lässt sogar Rentner aus der Schweiz und Norwegen in Ungarn kostenlos Bus und Bahn fahren. Und uns auch. Populismus pur.
18. Mai 2024
Auch auf dem Rückweg dauert es ziemlich lange, wenngleich wir bis Dresdner Tor eine ganze Stunde gewinnen. Unser Busfahrer liebt offenbar die Landstraßen, wo immer welche zu nutzen sind. Vielleicht steckt das zur Mautvermeidung im Blut, vielleicht hat es auch profanere Gründe. Immerhin bediente er sich während der Fahrt aus fünf verschiedenen Haribo-Packungen und war ein angenehmer Fahrer. Schon 6.45 Uhr mussten die Koffer am Bus sein, unsere wurden zuerst verstaut, weil wir erst nach fast allen anderen umsteigen mussten. Nach Ilmenau mit einem Tesla-Taxi, der Fahrer verriet uns, dass 40 Minuten laden ihm mindestens eine Tour jeweils vermasselt, sonst sei das Fahrzeug hervorragend. Wir kennen das vom vorigen Jahr: Tesla heißt Angst und Wasser schwitzen unterwegs, fährt man zu schnell oder ungeplante Umwege. Fahrende Computer eben, von der anderen Seite her gedacht. Zu Hause nichts Nennenswertes in der Post. Kein Anruf.
17. Mai 2024
Balatonfüred: Schon wieder der letzte Tag, kurze Reisen sind nicht länger. Das Ziel heute heißt Pannonhalma, danach Veszprém. Der Tagore an der Strandpromenade ist freigeschnitten, heute endlich ein Foto leidlicher Qualität. Fotografiert habe ich auch ein kleines Denkmal für Tibor Déry, der 1977 starb und zu DDR-Zeiten einer der gefragtesten ungarischen Autoren war. Ebenso Tafeln, die an Blaha Lujza erinnern, die mir bis dahin nur ein Name für eine Budapester Metro-Station war, die erst 1970 eröffnet wurde. Sie war also noch neu, als wir sie 1970, 1971 und 1973 nutzten, in den Jahren danach nicht mehr ganz so neu. Jetzt weiß ich: Blaha Lujza war eine Bühnenschönheit, die ihre Sommer in Balatonfüred verbrachte. Ihr Ferienhaus ist jetzt ein nach ihr benanntes Hotel. Vor dem letzten Abendessen an der Promenade Weinverkostung. Wir tranken einen wunderbaren Rosé an der Lázár Pince. Dort jeden Abend an einem anderen Tisch zu sitzen, wäre eine schöne Sache.
16. Mai 2024
Balatonfüred: Heute Premiere trotz vieler und langer Ungarn-Urlaube: die Puszta, genauer die Bakodpuszta. Wir werden zuerst beköstigt mit Suppe, Brot und Wein nach Belieben, dann gibt es eine Vorführung mit Graurindern als Zugtieren, mit Pferden und einem Esel als Reittieren, final eine Vorführung mit einem Zehnerzug weißer Pferde, je vier in einer Reihe nebeneinander, zwei ganz hinten, auf denen der Reiter steht. Mit einer Kutsche geht es dann hinaus in die weite Landschaft, wo die Graurinder mit ihren Kälbern sich bewegen, die Kälber gar nicht grau. Und Zackelschafe. Alle ganz offenbar an Touristen gewöhnt, sie gehen erst im allerletzten Moment aus dem Weg und schauen immer sehr neugierig. Die Wollschweine sehen wir nur aus größerer Entfernung. Unser Wein vom Montag darf im Zimmer ruhen, wir ließen ihn nicht im Bus, denn nicht alle Straßen sind EU-gefördert gut, was Weine eher nicht mögen. Dafür waren alle, die wir kosteten, hervorragend.