Tagebuch

4. Dezember 2018

Irgendwann hat auch die letzte deutsch schreibende Kolumnistin der Welt mitgeteilt, dass in ihrem Posteingang Mails zu finden sind, die sie auffordern, ihre Bankdaten zur Sicherheit abzugleichen. Die Kolumnistin hat dann, pfiffig, wie sie ist, festgestellt, dass sie noch nie bei dieser Bank war und nun warnt sie die Kolumnen lesende Menschheit vor solchen Phishing Mails. Andere Kolumnisten sind seit Jahren weiter, weil dies eben doch ein Betrüger-Ei ist, auf dem schon zu lange gebrütet wird, um noch Erfolg zu versprechen. Ich wage mir nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn die Ganoven, die immer noch nicht gelernt haben, ihre verräterischen Sprachfehlleistungen zu meiden, zufällig die Hausbank der verehrten Kollegin erwischt hätten. Wer übrigens behauptet, er verstehe die Welt nicht mehr, sagt weniger über die Welt als über sich selbst, denn er behauptet somit, vorher hätte er sie verstanden. Das wäre dann ein ziemliches Weltwunder gewesen, unentdeckt, ruhmlos.

3. Dezember 2018

Anders als 2017 ist 2018 der Aldi-Tee wieder zu Beginn des Monats erhältlich, im vorigen Jahr dachte ich schon, es sei ein Mord im Sortiment passiert. So aber sind rote, blaue und grüne Büchsen wieder für ein Jahr gehortet, ein heimischer Restbestand ließ meinen Zugriff bescheidener ausfallen als vor Jahresfrist. Zu Hause entdeckte ich zufällig im Spiegelschrank meines Zweitbades, dass die neue Fuß-Creme nicht nur vom selben Hersteller kommt wie die alte, sondern sogar denselben Text auf der Tube trägt. So simuliert man ein abwechselndes Angebot. Dem alten Diabetiker-Fuß ist es ohnehin gleich, wovon er glatt und geschmeidig bleibt. Beim Auspacken meiner Umhängetasche fällt mir der Flyer in die Hand, den ich mir in der Wilmersdorfer Straße mitnahm: Ackerbürger Haus, das „Charlottenburger Original von 1720“. Dort gibt es eine Weinschule, an der man diverse Seminare belegen kann, darunter Käse-Seminare. Vielleicht feiern wir mal da, vielleicht auch nicht.

2. Dezember 2018

Nach tagelangem Bahn-Bashing (siehe vorgestern) erleben wir heute schon wieder den Anti-Tag. Der ICE kommt nicht nur sehr zeitig an in den Tiefetagen des Hauptbahnhofes, er ist auch auf die Sekunde pünktlich in Erfurt später. Wir haben ein Sechser-Abteil für uns, in dem wir uns fläzen können nach Belieben. Unser griechischer Bäcker hat seit Sommer an Sonntagen Schließtag, was er uns gestern vorwarnend mitteilte, so dass wir heute auf die Angebote des Bahnhofes zurückgreifen, die man reichlich nennen darf. Ich erwarb als Bahnlektüre eine „Jüdische Allgemeine“, aus der ich  die Beilage der Universität Haifa las, und einen „Tagesspiegel“, aus dem ich gar nichts las. Mit der Südthüringenbahn STB 46 erreichten wir pünktlich den Ilmenauer Nebenbahnhof Pörlitzer Höhe, von wo wir zu Fuß das um Wein von „Mitte Meer“ und Bier-Reste von Ambrosetti leicht erschwerte Handgepäck in die Keplerstraße schleppten. Resümee: in diesem Jahr sehen wir Berlin nicht wieder.

1. Dezember 2018

Grundsätzlich ist der Gedanke, Eintrittskarten für fünf Schlösser zu verkaufen, nachvollziehbar, nur sollte man das nicht auf einen Tag beschränken. Schloss Charlottenburg verkauft solche Karten für bescheidene 17 Euro, die man aber nur voll nutzen kann, wenn man solides Stehvermögen hat und zwischen April und Oktober kommt. Außerhalb dieser Monate ist eines der Schlösser, für die man bezahlt, schlicht geschlossen. Schlösser 1 und 2 befinden sich innerhalb des einen Schlosses, das Schloss Charlottenburg heißt, Schloss 3 ist der Neue Pavillon, Schloss 5 heißt Belvedere und ist zu, Schloss 4 ist gar keines, sondern das Mausoleum, das wir schon kennen. Dennoch hielten wir sehr aufmerksam durch am Audio-Guide, solange wir 1 und 2 besichtigten, bei 3 aber ließ die Kondition so radikal nach, dass wir in der oberen Etage durch die Zimmerflucht wie auf der Flucht waren. Auf dem Weihnachtsmarkt vorm Schloss gab es keine Quarkbällchen, dafür aber sehr viel Eierpunsch.

30. November 2018

Nach tagelangem Bahn-Bashing (früher hätte ich solch Wort nie benutzt, aber man muss ja auch denen verständlich sein, die deutsche Begrifflichkeiten nur anglo-aufgehübscht verstehen) erleben wir heute den Anti-Tag. Auf die Sekunde genau fahren wir in Berlin Hauptbahnhof ein: dass der ICE in Spandau dann nicht hält, tangiert uns nicht, wir lesen allerdings später, wie sehr das andere Bahnkunden animiert, öffentliche Protestzeichen zu setzen. Wir brauchen keine S-Bahn-Karten zu lösen, weil die Bahn, bei der nichts klappt, uns erlaubt, mit unserer Fernfahrkarte bis zum Ziel zu fahren, welches immer noch Savigny-Platz heißt. Unser Zimmer ist noch nicht fertig wie meist, wenn wir so früh kommen, eine Stunde vorzeitig kann ich dann trotzdem schon einchecken und ein paar Blicke in mein Buch werfen, an dem ich im Zug scheiterte wegen der sächsischen Damen, die über den Gang neben mir dauerkommunizierten. Bei Ambrosetti heute dank Träger zehn Biersorten.

29. November 2018

Wie lange hatte ich keine Clara-Sander-Visitenkarte mehr in der Post, heute fand ich wieder eine mit Endziffer 966, die mir noch fehlte in meiner Sammlung. Verglichen damit sind meine Jutta-Berger-Visitenkarten fast Raritäten. Ich weiß nicht, wie oft Clara Sander Rückrufe erhält von all den Kunden all der Druckerzeugnisse, die unfassbar preiswerte Reisen angeboten bekommen. Würde man zehn dieser Reisen in einem Jahr absolvieren, sparte man zwischen 6000 und 8000 Euro, das wäre schon eine gute Anzahlung für einen neuen sauberen Diesel. Noch besser ist es freilich, neun Audi A8 zu kaufen, da bekommt man vielleicht einen zehnten geschenkt, den man wiederum in eine Hurtigrouten-Reise in der Kapitänssuite tauschen könnte. Schickte man die gesparten 600 oder 800 Euro in eines der drei ärmsten Länder der Welt, dann würde dort womöglich ein kleines Königreich  ausgepolstert. Clara Sander hat mehr Telefonanschlüsse als viele kleinere Dörfer Festnetznummern.

28. November 2018

Lese ich doch heute die gestern wegen der Literatur-Beilage erworbene Süddeutsche Zeitung wie ein gut erzogener Mensch von vorn nach hinten, weshalb ich rasch bei der Seite Drei lande, der ein Ruhm voraus und hinterher eilt. Es geht dort um Michelle Obama, die eben ihr Neu-Buch weltweit promotet, von dem sogar in den Abendnachrichten vermeldet wurde, es erscheine in 30 Ländern zugleich und die Zahl der Millionen wurde ebenfalls genannt, die gedruckt sind. Ich habe sie schon wieder vergessen. Heute aber erfahre ich, dass die Autorin für einen anderthalbstündigen Leseabend in einer großen Halle bescheidene 800.000 Dollar verlangt (und bekommt), weil die Firma, die die Vermarktungstour organisiert, an jedem dieser Abende Millionen verdient. Dagegen ist sicher wenig einzuwenden. Immerhin hat Michelle Obama im Garten des Weißen Hauses eigenhändig Gemüse gezüchtet. Und ihre Urahnen waren waschechte Sklaven, die man tatsächlich noch Neger nannte.

27. November 2018

Darf man eigentlich noch Versöhnung sagen oder muss man immer Versöhnung und Vertöchterung sagen? Nach einem Streit mit der Tochter klingt Versöhnung blöd, wenn auch nicht ganz so, als wenn im Vaterland Muttersprache gesprochen wird, der Fußball aber, obwohl eine Ewigkeit allein von Männern betrieben, ein Mutterland hat, jenes, welches sich eben aus Europa verabschiedet. Mit diesen Erwägungen will ich meinen Beitrag zur allgemeinen Verunsicherung abgeschlossen haben, auch wenn ich von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung eher wenig halte, das Ur-Vergnügen an diesen Kandidaten muss wasserlöslich gewesen sein. In einer Weinkolumne von Stuart Pigott las ich von den Problemen, die der Chardonnay aus dem Burgund seit dem Beginn des Jahrtausends hat, betroffen insbesondere Meursault und Puligny-Montrachet und sofort fiel mir ein, wie ich 2003 wie angewurzelt in Meursault vor dem Schaufenster stand, starr auf Flaschenpreise blickend, sprachlos.

26. November 2018

Erst muss der „Sommernachtstraum“ ins Netz, dann darf das Tagebuch folgen. In dem ohnehin nur Unmut zu vermelden ist: Unmut darüber, dass ich den heutigen fünfzigsten Todestag von Arnold Zweig verstreichen lasse, ohne ihm mehr als diese Notiz widmen zu können. Gottfried Keller und Theodor Fontane halten mich zu sehr auf Trab, da ist ein Shakespeare zwischendurch nur Erholung, Zweig aber wäre sofort wieder Arbeit, für weniger ist er mir zu schade. Zwar meldet die Suchmaske auf meiner Seite stolze 29 Treffer, doch weiß ich, was ich gern geschrieben hätte und schweige davon. Auf den unergründlichen Postwegen ist mal wieder eine Sendung verloren gegangen, die mir am 2. November als unterwegs befindlich gemeldet wurde. Den Antiquar in Lübeck wird das kaum freuen, Buch weg, trotzdem kein Geld. Und mir fehlt das Buch, das ich nun anderweitig und sicher teurer besorgen muss. Für diesen Montag sei das genug des Jammerns auf solch flachem Niveau.

25. November 2018

Mehr Gesang bei einem „Sommernachtstraum“ hatten wir noch nicht. Weiter hinten saßen wir auch noch nicht. Wir amüsierten uns mächtig. Unsere Bratwürste aus Pennewitz erhielten höchstes Lob, der Unstrut-Silvaner und der Cabernet Sauvignon aus dem Columbia Valley im Gegenzug auch. In diesem Jahr sehen wir Dresden nicht mehr. Für das nächste läuft die Feinabstimmung. Beinahe hätten wir bulgarische Freunde aus Brüssel getroffen, tatsächlich habe ich mein Theaterjackett auf dem Boy hängen lassen und sehe es erst zu Silvester wieder. Ich kann es entbehren, weil ich noch ein Zweit-Jackett mein eigen nenne, sowie die ganz gute Jacke, die ich immer nur anziehe, wenn es ein ganz besonderes Ereignis gibt. Von dieser Sorte gibt es nur wenige. Ein einziges Exemplar aus dem Tibet gibt es dafür neu in meiner Bieretiketten-Sammlung, denn unsere lieben Freunde und Gastgeber haben von den Höhen ein Fläschlein mitgebracht. Nur für mich. Ich beneide mich sehr.

24. November 2018

Normalerweise sehe ich, wenn ich aus unseren Fenstern zur Keplerstraße schaue, Müllfahrzeuge, Falschparker, Mietparkplatz-Inhaber, Handwerker-Kleintransporter, Nachbarn mit Hunden, Nachbarinnen ohne Hunde, rauchende Kindergärtnerinnen, den Mann mit dem Beutel über der Schulter, den Müllwühler mit Krückstock, die Frau, die sich beobachtet fühlt, die Frau, die jede Nacht das Licht brennen und den Fernseher laufen lässt. Und nun, zur klaren Mittagsstunde einen original Asiaten nicht zuordenbaren Migrationshintergrundes mit den Falten fortschreitenden Alters im Gesicht und er vollführt Bewegungen, die aussehen wie Kampfsport in Zeitlupe. Etwas fixer dieses Ritual und es sähe gefährlich aus. Nun müsste auch mal jemand mit einer Kabuki-Trommel kommen und nicht immer nur der Spielmannszug, wenn der Kindergarten Lampion-Umzug macht. Wir befinden uns heute in Dresden, aber nicht wegen Pegida, sondern wegen William Shakespeare.

23. November 2018

Es ist verblüffend, wie sehr man an Ilmenau vorbei schreiben kann, wenn man für die ZEIT über Ilmenau schreibt. Sogar mit eingeschränkter Farbwahrnehmung kommt man durch, man vergleiche den Text von Marcel Laskus in der gestrigen ZEIT-Beilage Z mit dem tatsächlichen Ilmenauer Hauptbahnhof, der seit einer ganzen Weile tatsächlich Technologie-Terminal heißt. Man gehe die Steinstraße mit ihren angeblich rechts und links stehenden Trabis nach oben und schaue, ob dann der Lindenberg in der Ferne oder direkt vor der Nase liegt. Ausgerechnet das „Brothaus Johann“ als Überraschungsname für das dort ursprünglich geplante „Wiener Kaffee“ wird mit jenem Goethe in Verbindung gebracht, der in Ilmenau 28mal zu Gast war, um dem hektischen Weimarer Treiben zu entfliehen. Lernt man an der Deutschen Journalistenschule München tatsächlich solche Recherche-Schlampereien? Matschige Klöße, Familie Marschlich liest das hoffentlich im Sitzen. So wie ich.


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