Tagebuch
28. Juni 2025
Heute ist Tag der Bundeswehr, man kann in Kasernen reingehen und gucken. Als noch Tag der NVA war, ging das Gucken nicht. Sonst hätte meine Mutter vielleicht mal einen Blick in den Konsum des Regiments geworfen, in dem ich als Nahrungsergänzungsmittel sehr häufig Nugana-Tafeln und Apfelsaft für 1,49 Mark erwarb von meinem Wehrsold, der so hieß, obwohl ich mich gegen ihn gar nicht wehren konnte. Der Nachrichtensprecher sagt am Abend, dass die Waffenruhe zwischen Iran und Israel jetzt schon vier Tage halte, aber noch nicht alle Schäden beseitigt seien. Wer immer ihm diesen Satz auf den Teleprompter schrieb, sollte wegen forcierter Dummheit entlassen werden oder besser wegen Gedankenlosigkeit. Meinen gestrigen Arnstadt-Ausflug setzte ich heute ins Netz in meine stets stiefmütterlich behandelte Rubrik Lokal-Splitter. Keine tausend Wörter, das hätte vielleicht sogar in eine Zeitung gepasst, die kommen aber erst am Montag mit ihren Print-Berichten.
27. Juni 2025
Zeitig genug schrieb ich den heutigen Termin in Arnstadt in meinen Schreibtisch-Kalender: 19 Uhr Schlossmuseum. Wir parkten auf dem Parkplatz des Landratsamtes hinter meinem Geburtshaus Ley-Villa, hatten diverse Absperrungen zu überklettern, trafen wenig Bekannte, viel Unbekannte, so genannte Lokalprominenz hielt sich auffallend zurück. Zwei ehemalige Kollegen sah ich, mit einem sprach ich und erlebte endlich einmal Cornelia Hobohm aus Wandersleben, von der bisweilen zu lesen war und vielleicht immer noch ist, nur kommt mir das nicht mehr vor Augen, denn was mir nicht ohne Bezahlschranke näher treten möchte, das ignoriere ich voller Inbrunst, Folgeschäden halten sich bisher für mich in Grenzen. So weit oben im Museum war ich noch nie. Immerhin fotografierte ich tapfer und es ist nicht auszuschließen, dass ich im Dezember noch einmal auf diese Marlitt zurückkomme. Nach Charlotte Birch-Pfeiffer in Arthur Eloessers Sicht bin ich fit und firm.
26. Juni 2025
Fundstück: Die Zeitschrift „Die Literatur“, bis 1933 eine Fundgrube und ein Treffpunkt aller oder fast aller Autoren, die mir etwas sagten und sagen, dann immer mehr ein Ort der gegenseitigen Beweihräucherung alter und neuer Nazis, völkischer und ähnlicher Brachialbarden der Scholle, des Blutes und der Ignoranz, veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 1. Dezember 1939 den Hinweis auf ein Buch mit dem Titel „Olympiakämpfer 1940. 1000 Kurzbiographien von Sportlern aller Länder“. Herausgeber und Chefredakteur Wilhelm Emanuel Süskind, der das Buch durchblättert hat, schien offenbar noch sicher, dass die Spiele in Helsinki stattfinden werden. Helsinki war der eigentlich unterlegene Bewerber gewesen, Tokio der Sieger. Am Ende sorgte der Krieg dafür, dass weder da noch dort Spiele stattfanden, auch die Spiele 1944 entfielen. Helsinki musste bis 1952 warten. Da war Süskind längst bei der Süddeutschen Zeitung und die Vergangenheit gründlich vergangen.
25. Juni 2025
Weil ich ein gewählter Vertreter bin, lasse ich mich heute zur Vertreterversammlung im Parkcafé fahren, später von dort wieder im Rahmen einer frischen Fahrgemeinschaft abholen. Den Gedanken der Genossenschaft halte ich hoch, meine sowieso. Wir erzielen bei Abstimmungen fast immer 100 Prozent, ohne dass Putin manipulieren muss oder die Stimmenzähler falsch zählen. Wir geben den Mitgliedern des Aufsichtsrates unsere Stimmen, entlasten den Vorstand, den das natürlich nicht überrascht. Ein paar Worte sage ich auch, als alles ein wenig im Müllthema zu versinken droht. Und habe unter vier Augen noch ein paar teils eigennützige Vorschläge. Wer schließlich für mein Gesicht auf zwei Bänken verantwortlich ist, erfahre ich nicht. Nur zwei Tage fehlen noch in der Schritte-Branche, dann ist auch der Juni wieder kassenfüllend. Vor 20 Jahren wechselten wir von Reschen nach Kurtinig am unteren Ende der Südtiroler Weinstraße, ein Zimmer mit nettem Mini-Balkon.
24. Juni 2025
Oh, 30 Jahre ist es her, dass ich mit Tochter und Sohn allein nach Venedig reiste, für uns drei der erste Besuch dort, dem mehrere folgten. Sohn und Schwiegertochter sind längst Venedig-Fans für sich selbst und wir werden nach Zwangspause im kommenden Jahr dort Goldene Hochzeit feiern. Das Knobloch-Buch „Stäubchen aufwirbeln“ ist nun endlich im Register gelandet, ich ging nahtlos zu „Das Lächeln der Zeitung“ über und wenn ich dann noch den „Blumenschwejk“ hinter mir haben werde, ist der nächste große Zwischenschritt gegangen. Zwanzig Dateien führe ich nunmehr und mancher Satz von Helmut Mehnert haftet auf der Bio-Festplatte. Er forciert meinen Plan, aus Knobloch und Auburtin ein Sonderthema zu machen, was auch mir interessant genug erscheint. Das Ende der Spargelsaison an diesem Johannistag berührt mich kaum, ich hatte mehr grünen als weißen Spargel in dieser Saison, weiterer Bedarf wäre aus dem Glas zu decken. Vorerst aber nicht.
23. Juni 2025
Beinahe wäre mein heutiger Eloesser-Beitrag einen Monat zu früh im Netz gelandet, der Termin stand zwar richtig notiert, aber im Kopf war er auf den 23. Mai gerutscht. Der Aufschrei hätte sich in Grenzen gehalten, so ist alles einfach noch etwas länger geworden. Charlotte Birch-Pfeiffer war eine imponierende Erscheinung des 19. Jahrhunderts, da konnten reihenweise Männlein nur beschämt zu Boden gucken. Während Goethe sehr wohl wusste, warum er Kotzebue spielen ließ in seinem Hoftheater und nicht Kleists „Penthesilea“, ist dergleichen Wissen heute verloren gegangen. Heute wollen wir „Penthesilea“ als Mono-Drama, die anderen Rollen gestrichen und alles, wenn nur irgend möglich kombiniert, mit einer Jelinek-Textfläche kombiniert, ich wiederhole mich, weil sich das alles wiederholt. 2015 waren wir um diese Zeit zum zweiten Mal in Melchsee-Frutt, besuchten Engelberg und den Titlis, auch deshalb liegt „Engelberg“ von C. F. Meyer direkt vor mir.
22. Juni 2025
Vor zehn Jahren starb Gabriele Wohmann, die fürchterlich dünn aussah zum Schluss. Nach früher Begeisterung für ihre kurzen Geschichten stand sie sehr lange unbeachtet im Regal über meinem Fernsehplatz, dann kaufte ich mir einen Band mit dem brachialen Titel „Meine Lektüre“ aus der Sammlung Luchterhand. Der Vorbesitzer hat kleine Haken und Kreuze am Inhaltsverzeichnis hinterlassen, innen steckt eine Libri-Titelkarte als Lesezeichen vor Ingeborg Bachmanns „Malina“. Wohmann war Amerika-affin in hohem Maße oder sie wollte so scheinen. Wer im Westen war seinerzeit nicht Amerika-affin? Von links bis rechts hatten alle ihre Lieblinge, niemand las Bulgaren oder Portugiesen. Weshalb das heutige Interesse für Ukrainer ja auch ein Gipfel an Heuchelei ist. Am 22. Juni 2005 hatten wir den Tag der Grenzüberquerungen: von Italien nach Österreich, von Österreich in die Schweiz, umgekehrt rückwärts und überall wollte niemand etwas von uns beiden.
21. Juni 2025
Es gibt Männer, da muss man deren Familiengeschichte inklusive ihrer Schatten kennen, um sie zu verstehen. Benjamin Netanjahu zum Beispiel. Bei uns könnte er als rechtmäßig verurteilter Bürger nicht einmal Schöffe im Kreisgericht sein, in Israel darf er fast alles, sogar die Drecksarbeit für uns tun, wie uns Bravbürgern bedeutet wird. Denn wir, will das nämlich heißen, haben keinen Bock auf Drecksarbeit. Andere dürfen wir um Gottes Willen nicht einmal versuchen zu verstehen, weil wir dann Versteher wären, was ein wirklich blöder Job ist. Sartre zum Beispiel, der heute natürlich nicht 120 Jahre alt geworden wäre, versuchte die Bürschinnen und Burschen in Stammheim zu verstehen, die sich dann umbrachten, von ihrer eigenen Unschuld überwältigt. Unsereiner freut sich alljährlich, wenn wieder ein Gedenkbuch, Gedenkfilm, ein Sonder-SPIEGEL über den deutschen Herbst in den Markt gepresst wird, der Westen liebt seine Traumata, der Osten hatte keine, nur Stasi, Stasi, Stasi.
20. Juni 2025
Justizministerin Hubig legt einen Gesetzentwurf vor, der so genannte Einschüchterungsklagen erschweren soll. Vor 30 Jahren hätte mich das vermutlich fast begeistert, denn ich war das Opfer einer so genannten Einschüchterungsklage und ließ mich einschüchtern. Ich verpflichtete mich, eine nachweislich wahre Behauptung nicht zu wiederholen, weil ich sonst sechsstellig belangt worden wäre. Mein Arbeitgeber hätte mich vermutlich eher fallen gelassen wie eine heiße Pellkartoffel als mir unter die Arme zu greifen. Immerhin ließe sich ein Feuilleton über Lerneffekte schreiben, ein vollständig anonymisiertes natürlich, die sich bei mir einstellten bezüglich Machtausübung unter westdeutschen Freiheitshütern. Nützen würde es letztlich keinem, denn die damaligen Kläger und ihre hochrossigen Kanzleien haben mehrfache Mutationen hinter sich und erkennen sich vermutlich selbst nicht mehr, wenn sie neugierig in ihre Rasierspiegel starren. Vor 80 Jahren starb Bruno Frank.
19. Juni 2025
Zehn Jahre ist es schon wieder her, dass James Salter starb. Fronleichnam kommt im Fernsehen. „Cliffhanger“ heißt das, was heute fertig wird, mein „Lob des Nachschlagens“ von gestern ist noch nicht beendet. Ich rede mir ein, dass es gut ist, sofort zu schreiben, wenn ich Anfänge im Kopf habe, das aber drängt alles andere beiseite. Der Juni könnte der erste Monat des Jahres werden, in dem ich meinen Leseplan nicht schaffe. Das Finanzamt vollbringt Wunder: keine vier Wochen nach der Einreichung der Unterlagen seitens meines Steuerbüros ist der Bescheid da. Natürlich muss ich bluten, mehr als eine Monatsrente entreißt mir das demokratische Staatswesen, es bleibt eine kleine Frist bis in den Juli, ehe das Amt mein Konto legal plündert. Warum habe ich seinerzeit keine Cum-Ex-Geschäfte getätigt? Wie lang ist es her, dass Claudia Nolte verkündete, dass 85 Prozent der Rentner keine Streuern werden zahlen müssen? Schon meine Mutter musste 10 Jahre nachzahlen.
18. Juni 2025
Mit „Stäubchen, Stäubchen“ bin ich zu Ende gekommen und legte gleich „Nebenwirkungen“ nach. Ich werde diese Sachen aufheben und erst einmal nicht öffentlich machen. Von Knobloch heute unter anderem „Rückblick auf Georg Hermann“. Der stapelt sich quer auf meinem runden Tisch, weil er in keinem Regal Platz findet. Dazu ein ansehnliches Ausdruck-Bündel aus „Das Literarische Echo“ und „Die Literatur“. Ich bin zu spät auf ihn gestoßen. Isabella Rossellini ist heute 73 Jahre alt, Paul McCartney 83, Jürgen Habermas 96. Utta Danella wäre 105 an diesem Mittwoch, das hat dann doch nicht geklappt. 2010 starb José Saramago, Literatur-Nobelpreis 1998. Aus dem Engadin ging es 2005 nach Reschen, das dem gleichnamigen Pass den Namen gab. Vorher noch der Ofen-Pass, der Umbrail-Pass und, der absolute Höhepunkt: Passo Stelvio, 2788 Meter hoch, ein Biker-Gewimmel und Bratwurst. Aus unserem Quartier ein phantastischer Blick auf die Ortler-Gruppe.
17. Juni 2025
Vor zwanzig Jahren besuchten wir den Albula-Pass, es gab das unvermeidliche Pass-Bild mit mir drauf und abends ein gutes Essen mit Saibling für mich. Wir tranken dazu je einen halben Liter Fendant im Hotel „Bettini“. Heute würden wir für alles den doppelten Preis zahlen. Ich las weiter in der „Schiller-Debatte 1905“. Am 17. Juni 1975 war der Versuch, mein allererstes Tagebuch wieder kontinuierlich zu führen, nachdem die NVA-Monate das generell verhindert hatten, endgültig gescheitert. Auch davor mehr Lücken, der 16. Juni letztmalig mit einigen Zeilen, die mir heute gar nichts sagen. In einer plötzlichen Anwandlung „Stäubchen, Stäubchen“ begonnen, dafür eigens eine neue Datei in einem neuen Ordner angelegt. Wenn Knobloch eine Anregung für mich hat, dann die, mir Themen und Gegenstände zu liefern. Diesmal die Schwesternschülerinnen, die putzen mussten. Ein Goethe-Wort: „Uns gefällt, was wir schreiben, wir würden es ja sonst nicht geschrieben haben.“