Tagebuch

24. August 2018

Mit dem Gutschein hat es nicht geklappt, weil ich das Wichtigste nicht ausgedruckt hatte. Mit dem Shakespeare hat es geklappt, erstmals in meinem Shakespeare-Leben sah ich die frühe „Verlorene Liebesmüh“. Erstmals in meinem Rundwanderleben durch Charlottenburg und Umgebung sah ich in der Windscheidstraße Samuel Finzi, der eben beim Bäcker saß, in ein Gespräch vertieft und mich musternd, als ich näher kam, als prüfe er, woher er mich kenne, was ich mir freilich nur einbilde, denn niemand kennt mich, ich bin meine eigene Tarnung. Dann sah ich noch einen, der in einem der alltäglichen Krimis, die ich schaue, den Gerichtsmediziner mimt, sein Name will mir trotzdem nicht einfallen, sein Profil ist markant. Zwei Männer in Jeans und mit Plastikbeuteln hoben auf dem Karl-August-Platz eine Uhr auf, die sie vielleicht verloren wähnten, die aber ein Mädchen dort abgelegt hatte, weil es Fußball spielte. Es gab Tränen und einen aufgeregten Vater, der nicht helfen konnte.

23. August 2018

Vom Franzosen Roger Martin du Gard habe ich nie eine Zeile gelesen, seinen Namen dennoch stets im Gedächtnis behalten, weil er einer war, der sich mit einfachen Romanen nicht zufrieden geben konnte, es mussten vielbändige Werke sein, auf acht Teile kommen „Die Thibaults“. Es gab Zeiten, da fand ich das bewundernswert, jetzt erschreckt mich die alljährliche Mitteilung, dass die Juroren des Deutschen Buchpreises aus 199 Romanen eine Long List erstellt haben mit 20 Romanen. Wenn daraus die Short List geworden ist, wird das ebenfalls alljährliche Synchronspringen der Feuilletons beginnen, zumal es in diesem Jahr keinen Nobelpreis geben wird. Martin du Gard starb am 23. August 1958. Ich reise morgen zu einem familiären Elementarereignis, weswegen es zu Nachträgen kommen wird an dieser Stelle. Sie werden von Zuckertüten handeln, von Shakespeare natürlich auch und vom ICE, den wir erstmals um einen so genannten Snack-Gutschein erleichtern dürfen.

22. August 2018

Nachdem sie ihren ersten Schreck, nämlich Joachim, überwunden hatte, heiratete sie Paul Wiens, der sie so aus nächster Nähe als Gatte, den sie hatte, bespitzeln konnte. Wiens zeugte in erster Ehe auch eine Tochter Maja und vererbte ihr das Spitzel-Gen. Sie aber, Irmtraud Morgner, wäre heute 85 Jahre alt geworden. Mein Lieblings-Videotext nennt nicht ein einziges Buch von ihr, die Nachricht vom Spitzel reicht aus. 125 Jahre alt wäre heute Dorothy Parker, über die ich voriges Jahr beinahe geschrieben hätte, dann aber drängte sich anderes vor. Heute schreibe ich wieder nicht über sie, weil ich noch den „Welttag des Gehirns“ erwähnen will, den viele mangels eines solchen leider nicht recht feiern können. Hirnlosigkeit ist die häufigste Ursache für ruhiges und unangefochtenes Leben. Nur eine runde Dreiviertelstunde brauchten die Handwerker gestern, den Wasserschaden in der Küche unsichtbar zu machen, sie sprachen von Isolierfarbe, die noch das nächste Wasser übersteht.

21. August 2018

Die dümmste Nachrichtenzeile seit langem präsentiert der ARD Videotext unter Seitennummer 109: „In Tschechien wird heute des 50. Jahrestages des „Prager Frühlings“ gedacht.“ Der 21. August 68 lag mitten im Sommer wie der heutige 21. August auch. 1968 beendete der gemeinsame Einmarsch der Staaten des Warschauer Vertrages, die DDR ausgenommen, deren Truppen nur in Grenznähe lauern durften, das Experiment „Demokratischer Sozialismus“. Abrupt endete die Zeit guter Filme und Bücher aus dem überfallenen Land, auf Jahre hinaus wurde nur noch harmlosester Quark zum Export freigegeben. Ich fuhr an jenem 21. August mit dem so genannten Verkäuferinnen-Bus von Gehren nach Ilmenau, um meinen Arbeits-Mittwoch in der Lokalredaktion von FREIES WORT zu beginnen. Das riesige Röhrenradio lief den ganzen Tag über, während die Redakteure im Nebel von alter „Juwel“ an der Zeitung für den 23. August arbeiteten, es gab im Lokalen zwei Tage Vorlauf.

20. August 2018

Der erste Wespenstich des Jahres in den kleinen Finger der rechten Hand, dergleichen kommt vor und war nicht der Stich eines Wespenweltmeisters, eher ein Lehrlingsstich. Reichlich acht Stunden dehnten wir unseren Aufenthalt in Klosterlausnitz, heimwärts ein Unfall kurz vor der Raststätte Teufelstal, der uns schlappe 20 Minuten kostete. Heute vor 25 Jahren, einem Vierteljahrhundert also, unsere zweite und letzte Bahnreise nach Holland. Die erste zum Jahreswechsel 1992/1993 bis nach Middelburg, wo wir mit dem Auto abgeholt wurden. Diese zweite bis nach Zandvoort mit einem Super-Sparpreis-Ticket. Es ging von Erfurt nach Koblenz, von Koblenz nach Amsterdam und dort weiter bis Zandvoort. Unser Bungalow hatte die Nummer 467, nahe am Zaun, über den man auf die Rennstrecke schauen konnte. Die ganz großen Rennen fuhr man dort aber nicht mehr. Als ich im Januar 2000 noch einmal allein nach Zandvoort kam, war aller Zauber des Erstbesuchs weg.

19. August 2018

Feiern wir diesen Sonntag als Ausnahme von der Regel: 1.25 Uhr war ich mit diesem Schaumstoff-Macbeth fertig, schlief meine Pflichtstunden unter Orchideenblüten, 7.26 Uhr schickte ich meine acht Absätze ins weltweite Netz, als wäre ich unter den Nachtkritikern ein Frühaufsteher. Dabei will ich nur den Tag genießen. Genossen habe ich auf dem Heimweg herrliche Funktionen des C-HR: die Signale vom toten Winkel im Spiegel, automatische Abblende, die automatische Verdunklung des Innenspiegels, wenn von hinten die Aufblendidioten kommen. Viele schafften es nicht vorbei, ich war schnell, Test, was der Turbo kann. Oh, er macht doch schon bei nicht viel mehr als 3000 Umdrehungen mehr als unser in den Gebrauchtwagenmarkt verabschiedeter Auris. Unser Parkplatznachbar hat immer noch nicht bemerkt, dass vor ihm nur dasselbe Kennzeichen steht. Heute ist Arnolt Bronnens Geburtstag und der von Dumitru Popescu, keine Ahnung, wer das ist.

18. August 2018

Einmal im Jahr schlägt der Kolumnist zu, der auf sich hält in den Blättern hinter den 7 Bergen bei den verbliebenen Restzwergen. Er macht sich über spätsommerliche Pfefferkuchen lustig, die die Regale seines Lieblingssupermarkts füllen, den er in Treue fest immer Kaufhalle nennt. Einmal hat er sich zu der Idee verstiegen, den Geschmack von Pfefferkuchen überhaupt nur akzeptabel zu finden, wenn das Fest der Liebe noch sehr weit weg ist. Ich aß als Kind Weihnachtsstollen zu Ostern und es schadete mir nichts. Deshalb will ich wenig Aufhebens davon machen, dass ich heute gleich 4 Sorten Oktoberfestbier erwarb. Anders als das Oktoberfest, dem ich 65 Jahre erfolgreich fern blieb, blieb ich dem Weihnachtsfest noch nie fern und es kann sein, dass ich im neuen Jahr mir bis dahin unbekannte Weihnachtsbiere bei Ambrosetti erwerbe, wo es gar nicht selten Märzenbier noch im Juni gibt. Und nun auf nach Weimar zu Heiner Müller, William Shakespeare und so weiter.

17. August 2018

Wer selbst 65 ist, darf kein sonderliches Erschrecken darüber zeigen, wenn Robert de Niro 75 wird. Als ich „1900“ zuerst sah von Bernardo Bertolucci mit einem noch ziemlich jungen Robert de Niro und einem noch ziemlich dünnen Gerard Depardieu, galt das allgemeine Interesse eher der nackten Dominique Sandra und der opulenten Stefania Sandrelli, aber langfristig gesehen und überhaupt: niemand außer ihm hat je behauptet, auch ein Schnitzel spielen zu können. Ich hätte ihn gern in dieser Rolle gesehen, paniert oder nature. Draußen heute ein länger anhaltender Regenfall, der in kurzen Phasen sogar heftig genannt werden durfte, wenngleich er nicht ausreichte, den Nachbarn mit Garten auch nur eine einzige Wassertonne zu füllen. Beim Trinken einer Berliner Weisse mit Waldmeister die wiederkehrende Frage, ob das DDR-Gerücht, Waldmeister sei krebserregend, je überprüft wurde. In der DDR galten ja auch heimische Stachelbeeren für nahrhafter als Bananen.

16. August 2018

Kaum ist Mariä Himmelfahrt für dieses Jahr Geschichte, sind wir bei der nächsten Madonna, jener aus Michigan. Sie vollendet heute ihr sechstes Lebensjahrzehnt, was eine Menge Holz ist und keineswegs nur vor der Hütte. Man kann sich angelegentlich noch einmal ihre Spezial-Räkelei vor William Dafoe anschauen, den Film watschte seinerzeit noch der letzte Kritik-Depp ab, als hätte ihn Franz Josef Gottlieb persönlich gedreht. Bei Reiner Kunze halte ich mich nicht länger auf, NEUES DEUTSCHLAND feiert seinen 85. Geburtstag, indem es Maestro Schütt höchstselbst über den ganz neuen Gedichtband sich ergehen lässt. Ich halte mich an „Brief mit blauem Siegel“ und bin eitel genug, mich über die große Leserschar zu freuen, die mein Textlein zu „Der Löwe Leopold“ fand, den ich heute vor genau fünf Jahren ins Netz stellte, wo er immer noch zappelt. Wenngleich ohne Beifang. Durch die Feuilletons geistert der Vergleich der Familie Brasch mit den „Buddenbrooks“.

15. August 2018

Erst meine liebste Reizdarmfamilie aus der Vorabend-Werbung erinnert mich daran, dass es dieses Tagebuch gibt, in dem ich immer noch nicht mitteilte, dass ich über jene Brücke in Genua schon fuhr, die jetzt einstürzte, freilich war das 1992 und der posthume Schauer in mir hält sich deshalb in Grenzen. Vielleicht habe ich einfach zu viele italienische Filme über Beton und Mafia gesehen, um überrascht zu sein, wenn dergleichen passiert. Private Autobahnen, höre ich es raunen und es ist wie mit der privatisierten Post. Auch von unseren Brücken haben wir genug gehört, lange bevor diese fürchterliche Katastrophe geschah. Noch ist keine eingestürzt, würde in diesen Fällen aber die Risiko-Bewertung angewendet, die sich sonst in Deutschland zur Norm erhoben hat, dürften wir uns auf Jahrzehnte des Flößens einstellen, denn ausgeschlossen werden können diese Risiken nicht. Wir aber lernten: nur ausgeschlossene Risiken sind gute Risiken, früher war das mit Indianern so.

14. August 2018

Vor 20 Jahren war unser Urlaub im Elsass schon wieder zu Ende, ich löste Etiketten von meinen Bierflaschen, wir fuhren ohne Kinder nochmals nach Riquewihr, um Wein für zu Hause zu kaufen. Beim Bezahlen der Schlussrechnung verriet mir die Concierge, dass sie Holländer nicht besonders mag, auch Engländer nicht und dass Ostdeutsche freundlicher und netter sind als Westdeutsche, die Sachsen meist schon freitags abreisen. Zu Hause in Ilmenau eröffnete Helmut Kohl an diesem Freitag den Wahlkampf in Thüringen. Als wir am Sonnabend wieder in der Keplerstraße anlangten, war alles vorbei. Schröder hätte später wohl auch gewonnen, wenn wir in Ilmenau die Fähnchen geschwenkt hätten: es war Wechselstimmung. 20 Jahre später profitiert eine Krankenkasse, in der ich erst neuerdings bin, von meiner damaligen Altersvorsorge, denn die neue rot-grüne Regierung wollte in ihren Gesetzesinitiativen nicht den rechtsstaatlich üblichen Vertrauensschutz einbeziehen.

13. August 2018

Vor 20 Jahren starb Julien Green. Von ihm stehen „Die Dramen“ in meinem Frankreich-Regal, „Englische Suite“ und „Leviathan“. Dennoch weiß ich von ihm fast nichts. Was ich recht gut weiß: dass man als Panzersoldat nicht zwingend Dirk-Nowitzki-Maße haben sollte. Die Bundeswehr, mein alter Klassenfeind, der jetzt mein Bruder ist und mich vor Putin schützt, weiß es nicht, weshalb neue Schützenpanzer „Puma“, eh schon fünf Jahre zu spät in der Auslieferung, in dieser Zeit haben wir früher ganze Weltkriege verloren, sich plötzlich als zu eng für große Panzersoldaten erweisen. Angeblich sind es Experten, die nun darüber beraten, ob man die Innenräume noch weiten könne. Wie wäre es mit aufblasbaren Schützenpanzern, die schwimmen gut, hätten sehr variables Gesamtvolumen, ehe sie platzen natürlich, nur und sie verbrauchen auch wenig Stahl. Ich denke, Panzer werden weithin überschätzt, man kann Kanonen auch gut auf Kasten-Toyota schrauben.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround