Tagebuch

9. März 2024

Die Gelegenheit, über Max Epstein zu schreiben, dessen 150. Geburtstag heute zu gedenken ist, lasse ich verstreichen. Immerhin: ich begann in bester Absicht sein „Das Theater als Geschäft“ im Neudruck der „Berliner Texte“ zu lesen, es ist Band 13. Aber weit kam ich nicht. Als Herausgeber war er für „Das blaue Heft“ verantwortlich und dies gab Arthur Eloesser über eine längere Zeit viel  Platz für seine Theaterkritiken, die wegen der Erscheinungsweise meist mehrere Inszenierungen betrafen. Bis es Differenzen in der Honorarfrage gab. 90 Jahre alt wird heute Dietmar Grieser, dem ich seit seinem „Goethe in Hessen“ ein anhänglicher Leser bin, auch wenn sein Wikipedia-Eintrag dieses Buch nicht einmal kennt. 70 Jahre alt wird heute Matthias Matussek, den korrekt Genordete nicht mehr kennen, ich aber doch, weil zwei seiner Bücher in meine Regale fanden, eins als gut gemeintes Geschenk (Wir Deutschen), eins selbst gekauft (Fifth Avenue). Das Leben ist eben so.

8. März 2024

Sollte „The Zone of Interest“ nicht nur ständig und überall für alles nominiert werden, sondern auch einmal abräumen, dann werden wir wie Goethe nahe Valmy zu uns sagen: wir haben ihn im Kino gesehen. Oder so ähnlich. Es war ein Dienstag im März in Kino 3, es war voller, als wir dachten. Es war unfassbar gut und lebte von Details, die den Unterschied machen. Wir trafen Bekannte, die wir ewig nicht trafen, wir sagten, dass wir gerade erst in Auschwitz gewesen sind und am Galgen, an dem Höß mit Blick auf sein Haus hinter der Mauer gehenkt wurde, standen. Für Wiedersehen gibt es schönere Gesprächsthemen und heute ist schon wieder dieser Frauentag, früher mit Eierlikör und Schürzenmännern verbunden. Während heute beinhart auf fortlebende Defizite hingewiesen wird in allerlei Hinsichten. Ich zum Beispiel habe seit meiner Armeezeit weder Kragenbinden noch sonst etwas gebügelt, ich überlasse das schnöde meiner Frau, die trägt meine Mini-Reue mit Fassung.

7. März 2024

Mein Gedenkkalender zeigt mir für heute den 750. Todestag von Thomas von Aquin an. 2025 wird die katholische Welt den 800. Geburtstag feiern, sollte man vermuten. Ob Rüdiger Safranski bis dahin mit einer Biografie aufwarten kann, ist zu bezweifeln, er muss ja nun erst einmal mit seinem Kafka-Buch reüssieren, auf das die deutschsprachige Welt nach den drei Bänden von Reiner Stach voller Ungeduld gieperte. Kafka-Biografien kann es nie genug geben, das ist mit Thomas von Aquin einfach anders. Ich hatte den während meines Studiums eher kurz, als es ums Mittelalter ging. Ich müsste lügen, dass ich unstillbar neugierig auf ihn war. Aber ich kann jederzeit auf meinen Kurt Flasch zurückgreifen. Die mittelalterliche Philosophie ist mir greifbar bei Alain de Libera, bei Jos Decorte, bei Martin Grabmann und bei Hans-Ulrich Wöhler. Ich kann den studierten Philosophen in mir nie völlig unterdrücken. Aber was besagt das schon: vielleicht ist er der innere Schweinehund?

6. März 2024

Wenn ich meine Suchmaschine, deren Namen ich verschweige, mit dem Namen Günter Kunert füttere, was sie, die Maschine, womöglich gar nicht als Futter empfindet, dann zeigt gleich die erste Trefferseite Nachrufe in lichter Reihe. Er wäre heute 95 Jahre alt geworden. Erst kürzlich wieder stieß ich auf den Namen David Warschauer, 1870 – 1943, der in Theresienstadt starb und Günter Kunerts Großvater war. Auch Doris Tucholsky, die Mutter von Kurt Tucholsky, starb dort 1943. Ich habe nun endlich einen Weg gefunden, meine beiden studentischen Kunert-Arbeiten aus meinem eigenen, sehr bescheidenen Kunert-Archiv in das beste, das es überhaupt gibt, umzusiedeln. Es ist nicht damit zu rechnen, dass danach die Wände der Kunert-Forschung wackeln. Sehe ich aber, dass lächerlichste Schülerarbeiten zu Themen, die durchaus Aufmerksamkeit für sich beanspruchen dürfen, im Netz zuerst gefunden werden mangels Alternativen, dann lobe ich die analogen Archive.

5. März 2024

Kurzfristig muss ich meinen morgigen Zahnarzttermin absagen, denn plötzliche Hustenanfälle mit diversen Geräten im Hals können lebensgefährlich werden, abgesehen davon, dass die junge Dame, die in mir arbeitet, ja auch nur eine Menschin ist mit Anfälligkeiten gegen diese und jene Erreger. Am 5. März 2004 ärgerte es mich, dass „Freies Wort“ nicht in meinem Briefkasten steckte. Ich rief an und beschwerte mich. Ich kann mich noch an Nachlieferungen erinnern, die der Chef des längst privatisierten Zustelldienstes höchstselbst ausfuhr. Undenkbar heute. Heute liest hier, wo ich wohne, weit und breit kein Mensch mehr eine lokale Tageszeitung. Selbst die Anzeigenblättlein werden von vielen verweigert. Es gibt größere Dramen der aktuellen Weltgeschichte. Zum Beispiel Barbara Schönebergers 50. Geburtstag. Wie wird jemand wie sie 50, anstatt immer 46 zu sein. Wie ich 50 wurde, weiß ich noch: nach 49 einfach weiter machen, ich wiederhole die Übung derzeit mit 71.

4. März 2024

Die Amerikaner haben heute ihren National Snack Day und ihren Scrapbooking Day und morgen werden sie ihren Super Tuesday haben. Ob sie am Snack Day besonders viel zu sich nehmen, weiß ich nicht, ich halte mich mit Drinks und Snacks zurück. Immer, wenn ich im Fernsehen Amerikaner sehe, die an einer Bar eine Bierflasche zwischen zwei Fingern am Hals halten und daraus Schlucke nehmen, an denen mein alter Wellensittich Maximilian verdurstet wäre, denke ich: was für ein Volk. Nun müssen sie sich zwischen zwei Mumien entscheiden, gegen die unser altes Politbüro beinahe jugendlich daher käme. Von wegen Gerontokratie. In Litauen ist heute der Tag des heiligen Kasimir und es gibt eine Internet-Seite, die als interessantes Buch zum Thema dieses anbietet: Kasimir und Karoline, geschrieben von Ödön von Horvath. Wir sind ziemlich froh, dass wir vorerst nicht mehr auf die Bahn angewiesen sind. Wenn wir Weselsky sehen, schalten wir gnadenlos um auf QVC.

3. März 2024

Die Zeiten, da ich Sonntage überwiegend im Bett verbringe, sind lange vorbei, ich stehe auf, wenn das Smartphone den Weckruf erschallen lässt, zwanzig Minuten später verlasse ich das Bad und kann mich in allen Regelfällen der Morgenlektüre zuwenden, die immer noch aus Theaterkritiken besteht, drei an der Zahl. Gerhard Stadelmaier ist derzeit der Favorit. Ich besitze sogar sein frühes Lessing-Buch und kann mit dem, was er schreibt, meist etwas anfangen. Während ich gestern an meinem Carl Jacob Burckhardt noch sehr gut voran kam, heute ist sein 50. Todestag und da wollte ich fertig sein, ist heute der Kopf leer. Wahrscheinlich verlässt bei Exzessiv-Husten doch nicht die Seele den Corpus, sie schickt das Denk- und Schreibvermögen voran zu erkunden, wie es draußen denn so ist. So legte ich zwei Zusatzruhen ein, die mich dem Abend auf träge Weise näher brachten. Juri Oleschas 125. Geburtstag ist heute, für Westsozialisierte wäre ein Buchstabe anzufügen: Jurij.

2. März 2024

Mit einem winzigen Krabbeln im Hals fing es an, jetzt bin ich an dem Punkt, wo ich mir die Seele aus dem Hals husten könnte, was eine recht locker sitzende Seele voraussetzen würde. Zur Feier war alles vorbereitet, da sagt man nicht mehr ab, nur weil der Jubilar bellt wie ein notleidender Hund im Tierheim. Immerhin, wenn schon nicht die Seele aus meinem Hals, der Cremant d'Alsace wollte aus seinem, dem gläsernen Flaschenhals mit überhöhter Geschwindigkeit, was den Inhalt der Flasche um ein gutes Drittel reduzierte, das zwar nicht ganz die Küchen-Zimmerdecke erreichte, der Versuch war aber aller Ehren wert. Glücklicherweise bewahre ich stets ein Backup im Keller, welches beim Öffnen dann dem Herkömmlichen folgte und nur leider etwas weniger gekühlt war als die aus dem Frigidaire. Wir saßen sehr gesellig, wir aßen und tranken, tauschten die üblichen Schwänke aus der Jugendzeit aus. Das Umarmen fiel etwas dezenter aus wegen Ansteckungsgefahr.

1. März 2024

Wieder ein Februar dahin, der nächste wird kürzer. Der Dax hüpft von Höhenflug zu Höhenflug, was mir Börsenexperten inzwischen viermal fast wortgleich erklärt haben. Unsere Schiffe im Roten Meer schießen Drohnen ab, bisweilen beinahe die falschen, das kommt vor. Im Jugoslawienkrieg trafen wir auch die Schweizer Botschaft. Die Schweizer können sich aus eigener Kraft jederzeit neue Botschaften bauen, manche wie die in Berlin behalten sie einfach. Wir dagegen können unsere Schiffe nicht mit genügend Munition ausstatten, das vermelden zur Freude sämtlicher Feinde die Abendnachrichten, ihrer Enthüllungspflicht nachkommend. Gleichzeitig sitzen sie mit spitzem Stift und zählen nach, wie oft der Kanzler nicht Taurus sagt. Als unter Walter Ulbricht immer mehr von schwimmenden und anderen Systemen gesprochen wurde, stürzte ihn Kumpel Erich Honecker. Jetzt ist von weitreichenden Systemen die Rede. Mal schauen, welcher Ex-Dachdecker das final abklärt.

29. Februar 2024

Mit einem Tag Verspätung hupft in solchen Schaltjahren die wohlverdiente Rente aufs Konto. Ich habe allen, die mir gratulierten, gedankt für all diese freundlichen Wünsche, eine völlig unbekannte, mir völlig unbekannte Geburtstagskollegin ist mir im Fernsehen zugeflogen, als sie das Spiel Niederlande gegen Deutschland kokommentierte: Kathrin Lehmann, leichten Akzentes redend und so sympathisch, dass mir die Rentnerknie weich wurden: Deutschschweizerin eben. Ich beendete am Morgen die „Kleinasiatische Reise“ von Carl Jacob Burckhardt, ein großes Leseerlebnis war es nicht. Was ich schreiben werde, weiß ich auch noch nicht so richtig: ein Absatz ist fertig, was mir meist die weiteren erleichtert: meist. Für Professor Rübenwuschel hätte ich noch den Vorschlag: 30 Prozent aller sinn- und verstandlosen Lehrstühle streichen, deren Inhaber alleweil ins Fernsehen migrieren, wo sie dann in Chargenrollen etwa als Experten für Gummisohlen-Recycling mimen.

28. Februar 2024

Kaum ist Rübenwuschels Idee in den Haupt-und Staatsnachrichten unverkündet geblieben, folgt die nächste Schlagzeile, auf die man dort großzügig verzichtet: Unsere Politiker belohnen sich dafür, dass sie keine Politik mehr machen, sondern nur noch Zeichen setzen, indem sie sich die größte Salär-Erhöhung seit 30 Jahren gönnen. Nur die schnöde Springer-Presse, gegen die Häuptling Flache Sohle, einst Erfinder des Dosenpfands, noch immer auf dem friedlichen Kriegspfad reitet, tritt den Aufreger breit. Ich kann mich leider nicht aufregen, weil ich mir, wenn ich Politiker wäre und mir meine Bezüge selbst erhöhen dürfte, das mit großer innerer Parteitagsstimmung bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch tun würde. Ich könnte immerhin behaupten, meine Doktorarbeit komplett selbst geschrieben zu haben. Ich müsste mich allerdings als Vertreter einer von Interessen gesteuerten Außenpolitik outen, auf einer Wertebasis würde ich kein Einmannzelt errichten wollen.

27. Februar 2024

Regina Katharina Kick, geboren am 1. Juli 1715 in Biberach an der Riß, starb am 27. Februar 1789 in Weimar an der Ilm, wo sie in der Nähe ihres Sohnes gelebt hatte, den viereinhalb bis fünf Prozent von uns als Christoph Martin Wieland kennen. Das war der Mann mit den vielen Kindern, über den sich der junge Goethe lustig machte und später nicht mehr. Während ich in Bad Langensalza den einen oder anderen Saunagang absolviere, verkündet ein Professor Rübenwuschel aus dem tiefsten Süden die Idee, den Millionen Rentnern in Deutschland doch mal die Erhöhung 2024 zu streichen, man könne damit satte 10 Milliarden sparen. Die satten zehn Milliarden sind nur ein Zehntel des Schattenhaushaltes für das Militär, aber sie würden vielleicht reichen, einen ICE-Anschluss zu des Professors Gartenhaus zu legen, in dem er mit der Bundestagsabgeordneten gleichen Namens kurz über dem Existenzminimum haust. Rübenwuschel heißt natürlich nicht so, er sieht nur eben so aus.


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