Tagebuch

22. Februar 2024

„Heute abend stirbt Hamlet“ heißt der zweite Kritikenband von Armin Eichholz, in dem es um das Residenztheater München geht. Das Verzeichnis der Inszenierungen, die im Band nicht besprochen sind, hat mich etwas geärgert, aber was soll's. Man soll sich über das freuen, was man hat, nicht das vermissen, was man nicht hat. Sagt der Coaching-Coach. Und ich trug das Buch heute als Nummer 12 in mein Register 2024, das gelang 2023 erst am 31. Mai. Von früh bis spät schrieb ich alsdann zu Elisabeth Langgässer, es hätte noch sehr viel mehr werden können, aber ich unterbrach. Draußen viel zum Sturm tendierender Wind, für das Wochenende ist besseres Wetter angesagt. Im Glas am Abend der vorletzte Poysdorfer Saurüssel, was die Vorfreude auf den neuen Jahrgang kräftig stärkt. Fiktive Hermes-Mails treten verstärkt auf mit dem dummen Trick, die Lieferanschrift wäre nicht komplett zu lesen. Löschen, sagt der Coaching-Coach, weg in den Papierkorb, dann in den Orkus.

21. Februar 2024

Ja, ich habe „Neuland unterm Pflug“ komplett gelesen, Dünndruck-Ausgabe in einem Band, sie ist sogar aus der Gehrener Erbmasse in meine Bestände übergegangen. Mich haben Plagiatsvorwürfe gegen Scholochow nicht weiter beunruhigt, weil sie mich erst erreichten, als ich gelesen hatte, was ich lesen wollte. Vier Bände „Der stille Don“ waren nicht darunter, wohl aber die frühen kurzen Sachen aus dem Bürgerkrieg. Die mich sehr beeindruckten. Heute vor 40 Jahren starb der einzige sowjetische Literatur-Nobelpreisträger, der seinen Preis nicht zurückgeben oder verweigern musste oder anderweitig ausfiel. Anruf aus Großhennersdorf heute, es geht um Günter Kunert und um mich und meine uralten Studentenarbeiten über ihn. Wir vereinbarten ein Treffen, nachdem wir diverse weniger gangbare Varianten erörtert hatten. Direkte Wege sind bisweilen alternativlos. Und Mitte März gibt es eine feine Gelegenheit, in den Raum Görlitz vorzustoßen mit Wein im Kofferraum.

20. Februar 2024

Die Welt ist aus den Fugen: ich sah eine Autowerbung mit Lauthals-Hinweis: Auch als Benziner erhältlich. Ja, beiß mich doch der Nandu, wenn schon nicht der Storch: gibt es denn überhaupt noch Benziner, abgesehen davon, dass wir und weitere 80 Millionen in diesem Land, das die Grasgrünen nie „unser Land“ nennen, einen fahren? Unser Land, in dem die Gelbsack-Ideologen aus der Dosen-Pfandfraktion dafür sorgen, dass per Fachkräfteeinwanderung Mülltrennungs-Analphabeten gute Chancen haben, alles auszuhebeln, was der Blockwart mag. Wir wissen, dass ein Vogelbauer kein Restmüll ist, auch eine zweimal-zwei Meter Liege nicht direkt, wir wissen, dass vollgeschissene Windeln kein Verpackungsmüll sind, woher aber sollen das alle anderen wissen, die nicht am deutschen Wesen genesen sind. An manchen unserer Türen steht inzwischen in sechs Sprachen, dass man sie schließen soll. Das hilft auch manchmal, die Frage bleibt nur, wem es hilft. Der Post nicht.

19. Februar 2024

Vermutlich ist die Tennisball-Wirtschaft stiller Hauptsponsor der Proteste in den deutschen Fußball-Stadien. Die Schokotaler-Wirtschaft konnte nicht lange genug durchhalten, was, wie wir wissen, auch unserer Munitions-Wirtschaft nicht durchgehend gelingt. Die Abendnachrichten melden, dass die Ukraine auf sechs russische Raketen nur mit einer antworten kann. Sehr gute Voraussetzungen für die nächste große Frühjahrsoffensive sind das nicht. Sie wäre ohnehin nur dann die nächste, wenn die vorige überhaupt stattgefunden hat, was sich, wie es jeweils so schön heißt, unabhängig nicht überprüfen lässt. Nancy Faeser schleicht sich immer noch vor diese oder jene Kamera und sagt immer noch diesen oder jenen Unfug. Keine Ahnung haben, ist auch weiterhin keine Straftat, es ist denkbar, dass sie im Anfängerseminar Wannseekonferenz wegen eines Termins bei einem Haus- oder Frauenarzt verhindert war, vielleicht war es sogar ein Hausfrauenarzt. Alles ist möglich.

18. Februar 2024

Vor hundert Jahren starb in Clavadel bei Davos der Schweizer Jakob Boßhart. Nicht in dem Sanatorium, das Thomas Mann zum „Zauberberg“ animierte, das war ein anderes. Ich las über die Liegekuren an der frischen Luft, über die neuen Lichttherapien und über Streptomycin, das gegen Tuberkulose wirkte und dem Kurwesen ins Geschäft hackte. Als Pflanzenschutzmittel ist das jetzt verboten, als Menschenschutzmittel war es ein großer Wurf. Auch Quecksilber half gegen manches, bisweilen sogar gegen das Leben. In meinen Text baute ich ein paar freundliche Worte für Wulf Kirsten ein, der seinen 90. Geburtstag in diesem Jahr leider nicht mehr erlebt. Als Lyriker ist er mir immer noch eher fremd, dem Herausgeber von Anthologien bescheinige ich Entdeckerlust und sehr sichere Griffe. Mit seinem Sohn stand ich im Lauf der Jahre immer mal wieder in Verbindung, jetzt aber schon länger nicht mehr. Obwohl ich den Goethe-Pfad nie ganz verlassen habe, warum auch?

17. Februar 2024

Im Kindergarten nebenan ist das große Bäumetöten im Gange. Stundenlang, für alle Anwohner das reine Hörvergnügen, lärmen die Kettensägen. Zwei Männer, die wohl im Auftrag des Trägers agieren, der im Vorjahr schon die schöne dichte Hecke zugrunde richten ließ, es aber selten bis nie schafft, das Laub so von den Gullys am Grundstück zu entfernen, dass das Wasser abfließen kann, killen kerngesunde Bäume ohne erkennbaren Sinn. Und weil ein emsiger Arbeiter nicht nur emsig arbeiten will, beschallen sie die halbe Pörlitzer Höhe auch noch mit Musik genau in der Mittagszeit, während Menschen mit freiem Wochenende ungestört essen wollen. Früher nannte man dergleichen die Rache des Kanalarbeiters. Neben der Einrichtung „Glücksbärchen“ sind wir die Pechbärchen. Zu DDR-Zeiten hätte man vielleicht ein Transparent aufgestellt oder zwei: „Sägen für den Frieden“ und „Mein Sägeplatz – mein Kampfplatz für den Frieden“. Ginge auch so: „Sägen gegen Höcke!“

16. Februar 2024

Die große Freitagsrunde, lange nicht mehr gelaufen, endete heute mit einem Blick auf die ersten Schneeglöckchen in der Ziolkowskistraße. Unterwegs die Riesendisteln, vor denen wir am 4. August vorigen Jahres des Größenverhältnisses wegen fotogen posierten, sind weggeschnitten, wir werden sehen, ob sie neu wachsen im Sommer. Nicht weniger als sechs Abschnitte zu Boßhart sind bereits geschrieben, das wird bis zum Todestag keine Probleme geben. Elisabeth Langgässer wird mich womöglich erstmals beschäftigen, ich schrieb einen Einstieg vor, blätterte in meinen alten Notizen und suchte Stimmen zu ihr, alles sieht gut aus. 1998 war der 16. Februar Fastnacht und ich kam überpünktlich zur Presserunde des Oberbürgermeisters, der uns mit Pfannkuchen bewirtete und andere reden ließ. Vorn rechts war mein Platz, es waren gute Zeitungszeiten. Erst vorgestern traf ich am Großen Teich einen Professor, dessen Solardorf-Wirken ich einst von Beginn an begleitet hatte.

15. Februar 2024

Panik nach der Mittagspause: mein PC will sich nicht einschalten lassen. Mehrere Versuche, keine Chance. Anruf beim Service, wir fahren nach dem Essen hin. Es ist, wie vermutet, ein lächerliches Plastikteil, das geklebt werden müsste, dann aber nicht gleich benutzt werden sollte. Ich verweise auf mein voriges Gerät, da es reichte, mit der Maus zu wackeln. Das geht auch, sagt der freundliche junge Mann, der uns aus der Patsche hilft, wenn der Laptop streikt. Und am Ende sehen wir: es geht. Auch zu Hause, womit dem dritten Tag in Folge mit 10.000 Schritten nichts mehr im Wege steht. Noch im Dezember hatte ich zwölf Tage in Folge und keine Pollenallergie in Heavy-Fassung. Den Hofmannsthal führe ich weiter, wenn auch nur in kleinen Portionen vorläufig, der Archivordner zunächst einmal wieder ins Regal. Dafür suche ich meine Bestände zu Jakob Boßhart auf, über den ich 2012 schon einmal schrieb und nun vielleicht zum zweiten Male, das könnte zu schaffen sein.

14. Februar 2024

12.16 Uhr, meldet der Lieferdienst ups mir per Mail, wurde mein Weinkarton bei mir abgeliefert. Nach meiner Uhr war es sogar eine Minute früher und es ist erst zwei Tage her, dass ich bestellte. Wohin soll das noch führen? Vom angeschriebenen Antiquariat die frohe Kunde: mein Buch kommt noch, Krankheit verhinderte die Bearbeitung der Bestellung. Da kann ich, der gestern nach zwanzig langen Tagen Pause erstmals wieder die 10.000 Schritte erreichte, nur Verständnis haben und warten. Tatsächlich liefen wir gestern unsere so genannte Winterrunde mit leichter Verlängerung, heute die Glaswerksrunde ohne Verlängerung. Meine Vorleistung tagsüber ist wieder wie in guten Zeiten. Heute ist Arthur Eloessers Todestag, mein Text zu ihm und Hofmannsthal sollte im Netz stehen, ist aber nicht so weit fertig, dass ich es verantworten kann. Das vorgeschriebene Material umfasst 14 Druckseiten, sollte morgen zu schaffen sein. Der Blick geht schon zum nächsten Namen.

13. Februar 2024

Am 13. Februar vor 50 Jahren hatte mein Leben plötzlich einen Bezug zu Ungarn, den es zuvor nie gehabt hatte. In Leipzig wurde Max Walther Schulz zurück aus Ungarn erwartet, er wäre zuständig für meine möglicherweise völlig überraschende Aufnahme ans Leipziger Literaturinstitut. Die Chance ergab sich, nachdem mein Vater am 5. Februar 1974 in Berlin im Ministerium ein gutes Gespräch mit einer verständnisvollen Frau gehabt hatte. Es ging sogar um eine rückwirkende Immatrikulation zum September 1973, schon im März könnte ich beginnen. Im Gedächtnis ist mir nichts mehr davon geblieben, ich blieb bis Sommer 1975 in der Bibliothek. Ich fragte bei einem säumigen Antiquariat nach, ob denn meine für den 6. Februar angekündigte Lieferung noch zu erwarten sei. Zuletzt hatte ich zweimal Stornierungen, in einem Fall schon die zweite für einen offenbar immer rarer werdenden Titel von Dr. Heinrich Stümcke, den angeblich niemand kennt.

12. Februar 2024

Rosenmontag ist Weinbestelltag und ich mache Erfahrungen, die mich fröhlich stimmen. Es gibt sie noch: die kundenfreundlichen privaten Unternehmen. Weil ich mich in der Abwicklung verhedderte, die zur Zahlung führen sollte, rufe ich an, Minuten später habe ich alles erledigt, höre die frohe Botschaft, morgen gehe alles schon raus. Ich schaffe Liegeplatz im Keller. Eine freundliche Mail von gestern, einen alten Text von mir lobend, den ich hier nicht nennen will, sonst läse ihn vielleicht noch jemand, der ihn sonst keinesfalls gelesen hätte, beantworte ich ebenfalls freundlich. Denn aus meiner aktiven Zeitungszeit in der Zeit vor der Zeitenwende weiß ich: Leserbriefe schicken in 99,7 Prozent aller Fälle nur die Meckerköppe, nie die Zufriedenen. Insofern bin ich Woche für Woche neu begeistert, wie viele begeisterte Leser der Spiegel hat, der ausdauernd jedes Titelblatt-Lob für die Nachwelt dokumentiert. An der Luft ging es mir heute besser als zuletzt: ich huste, ich hoffe.

11. Februar 2024

Mein Beitrag über Freumbichler ist fast 2000 Wörter lang geworden, ich bin leidlich zufrieden. Stieg gestern eigens dafür spät noch einmal in den Keller, eine acht Jahre alte Buchbesprechung zu finden. Den Verfasser traf ich einmal bei einem Rundgang auf Harald Gerlachs Spuren in Erfurt, wenn ich mich recht erinnere, kann aber auch ein anderer Anlass gewesen sein, jedenfalls Erfurt. Im Terminkalender für morgen steht der Name Julio Cortazar, den ich übergehen muss, weil mir der Aschermittwoch noch eine Pflichtaufgabe abnötigt. Auch eine kleine Ergänzung zu meinem nun neun Jahre alten Beitrag zu Otto Erich Hartlebens „Rosenmontag“ hätte ich gern geschrieben, zumal Otto Erich zu den engsten Freunden Arthur Eloessers gehörte, auch das muss warten. In Berlin ist der bei einem Spaziergang mit Wärtern geflüchtete Vergewaltiger wieder eingefangen worden, hatte Sicherheitsverwahrung: In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge im eigenen Land.


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