Tagebuch

25. März 2024

Eigentlich wollte ich in den Schriften zum Theater von Roland Barthes nur etwas nachlesen. Dabei entdeckte ich, dass acht meiner neun Barthes-Bücher noch nicht meinen Stempel trugen, nur eines ist markiert: „Der Eiffelturm“. Und da ich bisweilen Kassenzettel als Lesezeichen im Buch lasse, sehe ich: Dieses Büchlein kaufte ich am 25. März 2022 in Berlin in meiner Lieblingsbuchhandlung in der Kantstraße. Am 25. März 1954 starb in Gadderbaum, Kreis Bielefeld, Gertrud Bäumer. Sie war, unter anderem, 1920 die erste Frau in Deutschland, die Ministerialrat im Reichsministerium des Inneren wurde. Was mich auf sie bringt, ist ein Büchlein mit dem Titel „Goethe – überzeitlich“, 92 Seiten stark, im Goethejahr 1932 erschienen. Arthur Eloesser wies am 15. Januar 1933 in seinem dritten und letzten Überblick über die Fluten neuer Goethe-Literatur in der „Vossischen Zeitung“ kurz auch auf Gertrud Bäumer hin. Mein Exemplar liegt bestens erhalten oben auf dem Wartestapel.

24. März 2024

Alle mir zur Verfügung stehenden Lexika nennen den 24. März 1954 als Todestag für Ferdinand Hardekopf, er starb im Burghölzli bei Zürich, drogensüchtig, wie es heißt. Wer Bücher von ihm sucht in den Antiquariatsnetzwerken, darf lange im Glauben bleiben, Hardekopf habe gar keine eigenen Bücher geschrieben, nur fremde übersetzt, vor allem aus dem Französischen. Dann aber, bei den hochpreisigen Angeboten, kommt er doch selbst. In der Reihe „Der jüngste Tag“ etwa, die Schweizer Antiquariate schlagen jeweils noch furchterregende Versandkosten auf. Wikipedia wagt als einzige Quelle einen Alternativ-Vorschlag, sie lässt Hardekopf zwei Tage länger leben. 1907 trat Hardekopf dem Autorenkreis von Siegfried Jacobsohns „Die Schaubühne“ bei und schrieb, was sonst, Theaterkritiken, die sogar als Buch gesammelt wurden sehr viel später. Das Buch aber ist in unbekannte Gegenden entschwunden. In der „Schaubühne“ kann ich jederzeit blätternd nachlesen.

23. März 2024

Deutschland kann noch Fußball und das auswärts und gegen einen großen Gegner. Ich habe den Tag damit zugebracht, völlig ungeplant einen Beitrag zu Armin Stolper zu schreiben, der heute 90 Jahre alt geworden wäre und auf der Inventarliste der DDR stand. Er starb am 17. Dezember 2020, von einigen bemerkt, von vielen längst vergessen. „Jeder Fuchs lobt seinen Schwanz“, „Narrenspiel will Raum“ oder „Poesie trägt einen weiten Mantel“ hießen Bücher von ihm, die ich mir einst, als noch mit Aluminium bezahlt wurde, kaufte. 70 Jahre ist heute Gabriele Eckart, von der ich mir einst, auch noch gegen Aluminium, „Der Seidelstein“, „Per Anhalter“, „Poesiealbum 80“ kaufte, später um etliche Bände ergänzte gegen konvertierbare Währung, wie das in der DDR hieß. Vermutlich wird es nicht mehr lange dauern, bis ich endlich auch über sie schreibe, bisher erscheint sie nur hie und da in meinem Tagebuch. So hieß ihr erster richtiger Gedichtband 1978, zweite Auflage 1982.

22. März 2024

Aufatmen und Entwarnung, vermutlich gilt der dumme alte Spruch: nichts ist schwerer zu ertragen als eine Folge von guten Tagen. Nachdem ich gestern Ingwertee brühte, holte ich heute eine Elektrolyt-Glucose-Mischung in Pulverform aus der Apotheke. Mein Schutz für PC und Netzwerk ist wieder vollständig, die Dame am Support-Telefon war gut zu verstehen und hilfreich und ich weiß nun auch, warum die Verlängerung fehlschlug: entsprechende Mails werde ich keine mehr bekommen. Aus dem Bestand meiner alten Buch-Projekte heute ein Goethe-Shakespeare-Opus aus dem Jahr 2014. Die Sammelstücke aus Sachsen sind archiviert, die nächste Reise gibt es erst Mitte Mai. Ich werde ein Vorwort schreiben zu einem Aphorismen-Buch, womit ich für mich Neuland betrete. Obwohl ich seit ewigen Zeiten Sätze sammle, die ihrem Zusammenhang entnommen gut als Aphorismen durchgehen könnten und selbst Derartiges verfasste: mit Bleistift handgeschrieben.

21. März 2024

Nachtrag: Dreieinhalb Stunden dauert die Heimfahrt, eine Abfahrt nach Dresden ist gesperrt, ein Umweg über die Gegenrichtung nicht sehr lang. Unterwegs immer mal Regen, in Thüringen gar sehr heftig, aber nicht andauernd. Zu Hause ein wenig Hektik. Kleiner Postberg. Ich sortiere die neuen Weine aus Österreich gleich ein. Beide Scheibenwischer sind nicht gut über den Winter gekommen. Am Morgen noch in „Schrappel“ gelesen von Gabriele Eckart, sie hat übermorgen ihren Geburtstag und ich weiß natürlich nicht, wo sie feiert, zu Hause in Amerika oder im Vogtland, und nicht einmal, ob es gut wäre, ihr zu dieser 70 zu gratulieren. Denn ich war es, der sich nach dem Abschied in den Urlaub nicht mehr meldete. Ich stehe bei mir selbst in der Schuld, nicht das alles über sie geschrieben zu haben, was ich nach ausführlichen Vorbereitungen schreiben wollte. Und nun muss ich erst einmal für die Verlängerung meines Virenschutzes sorgen, vorher geht gar nichts.

20. März 2024

Nachtrag: Wir sind zu zeitig an unserem Hotel in Herrnhut, müssen aber trotzdem nicht sehr lange warten. Die Zimmer haben keine Nummern, sondern Namen. Sie heißen also Oybin-Zimmer, Zittau-Zimmer oder eben Herrnhut-Zimmer wie unseres. Nach Großhennersdorf ist es nicht weit, wir werden erwartet und sitzen bei Kaffee und Kuchen im Allerheiligsten, dem Arbeitszimmer. Ich überreiche meine beiden studentischen Arbeiten aus den Jahren 1978 und 1979, Durchschläge auf DDR-Durchschlagpapier, die nun Archivgut werden und eingescannt. In Herrnhut schauen wir uns Ort und Heimatmuseum an, unser Smartphone begrüßt uns mehrfach in Polen, was die Frau im Museum kennt. Polen ist wohl nahe, aber wir sind nicht in Polen. Vor dem Essen noch ein Gang in die nahe Natur, Vogelstimmen-Konzert. Zum Essen ein Wein von der Nahe zu einem Preis, der in 102 Prozent aller Gasthäuser als Schreibfehler gelesen würde. Ein sehr guter Wein. Gute Gegend.

19. März 2024

Nachtrag: Geplante Abfolge funktioniert perfekt. Wir sehen uns „Terra Mineralia“ zwei Stunden lang an, phantastische Dinge zu bewundern, unglaubliche Gebilde, Strukturen, die in der Tat sehr verhärtet sind, verkrustet allerdings nie. Das gibt es nur in den Köpfen von Menschen, die keine Ahnung haben, was Gesellschaft ist und wie sie funktioniert. Bis zum Brechen schwafeln sie vom Aufbrechen. Zweiter Gang in unseren neuen Lieblingsweinladen. Wir loben den Roten Traminer, den wir uns gestern gleich gönnten: eine Premiere. In der Petersstraße dann die leckere Eierschecke, dann die Fahrt zum Johannisbad. Dank Seniorenermäßigung hätten wir Tageskarte nehmen können. Niemand belegt hier Liegen, auch wenn das Verbot nicht mit Unmengen Schildern dokumentiert wird, nur auf dem Großbildschirm. Wir kennen das ganz anders. So funktionierte einst das Warten am Bus in Rostock: Man stellte sich an und nicht einfach vorn dran. Abends böhmisch mit Knödel.

18. März 2024

Nachtrag: Weil die Stadtführung bereits 12 Uhr beginnt, müssen wir deutlich eher losfahren als zunächst geplant. Wir sind früh genug da, schon einen ersten Blick auf Freiberg zu werfen, das Parkticket erlaubt uns, bis 13.25 Uhr zu stehen. Die Zeit überschreiten wir zwar leicht, haben dafür aber sehr viel gehört und gesehen und sind schon entschlossen, wiederzukommen. Wir finden den Weinladen in der Burgstraße natürlich leicht, unser Hotel ist tatsächlich zentrumsnah, wenn auch mit dem Auto nur dank Navi ohne Probleme zu erreichen. Im Hotel ist man informiert, dass wir den Altstadtrundgang schon hinter uns haben. Es gibt noch Gutscheine für das Johannisbad, für „Terra Mineralia“ und eine Kaffeestunde mit der hierorts weltberühmten Eierschecke. Alle drei Cafés, die wir wahlweise besuchen dürfen, haben am Montag Ruhetag, woraus wir schließen, dass wir beim nächsten Mal erst an einem Dienstag oder Mittwoch anreisen sollten. Abends essen wir im Hotel.

17. März 2024

Endlich bin ich mit Gerhard Stadelmaiers „Parkett, Reihe 6, Mitte“ zu Ende gekommen. Er hat in die Reihe der Theaterkritiken eine Darstellung aufgenommen, die keinem Geschehen auf einer Bühne, sondern einem tatsächlichen Geschehen in einem westdeutschen Bundesland gewidmet war: dem Königsmord an Erwin Teufel, den einstmals Günter Oettinger beging. Hut ab vor dem Humor des Verlags, so zu verfahren. Ich selbst saß bisweilen auch Parkett, Reihe 6, Mitte und nutzte nie die Gelegenheit, zuletzt zu kommen, damit mich jeder sehen konnte. Wolfgang Bosbach kam in Bad Hersfeld gerade nicht zuletzt, sondern sehr zeitig, blieb aber, braungebrannt wie immer, so lange in seiner Reihe stehen, bis ihn jeder gesehen hatte. Jetzt war ich schon so lange nicht mehr im Theater, dass es aussieht, als würde ich nie mehr kommen. Ein wenig plagen mich tatsächlich Gedanken an Abschied, aber erst einmal fahre ich morgen gen Sachsen, was hier zu kürzerem Schweigen führt.

16. März 2024

Heute vollendet eine in Halle lebende Persönlichkeit weiblichen Geschlechts ihr 71. Lebensjahr. Wir kennen uns seit 1967, da waren die meisten der grünen Kriegstreiber von heute noch nicht einmal geboren. Früher fuhr ich öfter an dem Haus ihrer Eltern vorbei, nach links unten schauend, oder, aus der Gegenrichtung, nach rechts unten schauend. Das Haus gehört mangels lebender Eltern längst ihr und sie ist auch immer mal wieder dort. Seit der real existierende Imperialismus uns Bergtrolle aus den Schluchten und Nadelwäldern mit einer Autobahn versah, ist die genannte Route eine selten benötigte geworden, was die Blicke nach unten heftig einkürzt. Sie ist engagiert, was ich von mir nicht behaupten würde, es sei denn, ich würde mein Engagement für einige vergessene und verdrängte deutsch-jüdische Autoren der letzten 200 Jahre veranschlagen. Dafür aber wird man selten Ehrenbürger. Im Elternhaus unten trug ich einmal den gestreiften Schlafanzug ihres Vaters.

15. März 2024

Man kann beim Finanzamt anrufen, es hebt tatsächlich jemand ab. Wegen des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte sage ich einmal geschlechtsneutral: jemand mit einem vegetarischen Namen. Wir erinnern uns an Karl Valentin: so a metalliger Name woas: Hulzinger hatta gehoaßn. Das Amt, welche die Kleinen melkt und für die Großen nicht genug Steuerfahnder hat, will am 18. April von meinem ihm bekannten Girokonto reichlich drei Renten abbuchen, falls mein SEPA-Mandat noch gültig ist. Es ist. Ich könnte Einspruch einlegen, ich könnte Stundung beantragen, ich könnte versuchen, das Amt in die Luft zu sprengen, wenn ich ein Attentöter wäre, der ich aber nicht bin. Weil unser Verlag keine Gewinne erzielte, meint das Amt, keine Gewinnerzielungsabsicht erkennen zu können. Und nimmt alte Bescheide zurück. Wir lernten im Fach Staatsbürgerkunde: Im Kapitalismus muss man nur wollen, dann kommen die Gewinne, Regeln bestätigen die Ausnahme.

14. März 2024

Volker von Törne verfehlte seinen heutigen 90. Geburtstag um mehr als vierzig Jahre. Im Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren lese ich, dass er der Sohn eines NS-Standartenführers war. Wir wollen nicht päpstlicher sein als der Landesbischof: NS-Standartenführer gab es nicht, das war ein Dienstrang der SS und auch der SA, in der SS geschichtsrelevanter als in der SA, also deutlich verbrecherischer, wenn man da überhaupt Skalen dulden mag. Wenn ich wegen Klopstock in Kürze in Quedlinburg sein werde, denke ich vielleicht auch an von Törne, der als Pseudonym von Windei benutzt haben soll. „Ohne Abschied“ heißt das einzige Buch von ihm, das ich besitze, eines, an dem er beteiligt war auch noch: „Rezepte für Friedenszeiten“. Da sollte man vielleicht wieder einmal hineinschauen in Zeiten, wo die größten Kriegsschreier die Friedensbewegten von gestern sind: die Langhaarigen sämtlicher Geschlechter. Ein Viertelpfund Post heute vom Finanzamt auf Raubkurs.


Joomla 2.5 Templates von SiteGround