Tagebuch
6. Juli 2025
Ich beende „Rund um das Buch“ von Heinz Knobloch, es ist eines von nur zwei Büchern, die er im Verlag für die Frau Leipzig veröffentlichte, das andere heißt „Rund um das Bett“ und ist als „Sibylles Kopfkissenbuch“ bezeichnet. „Rund um das Buch“ ist ähnlich als „Sibylles Lesezeichen“ ausgewiesen. Nur solche Bücher führe ich in Urlauben mit mir, Bücher, in denen ich jederzeit die Lektüre unterbrechen kann. Lesezeit ist morgens, bis das Bad frei wird, zwischendurch, ehe die Tischzeit heranrückt, falls eine heranrückt. Wir laufen nach drei Tagen mit weniger Schritten die 10.000 wieder und verabreden, wie wir morgen verfahren, wenn ich meinen Zahnarzttermin habe. An uralte Zeiten erinnert mich „Sechs Tage in Heiligenstadt“, natürlich auch von Knobloch. Es erinnert mich an Ewald Heerda, den Urfreund meines Vaters, der sich in Heiligenstadt zum Autor
heimatgeschichtlicher Broschüren und Bücher aufschwang. Im Netz fand ich seine Todesanzeige.
5. Juli 2025
Wenn es heimwärts zehn Stunden dauert wie hinwärts, ist das kein Grund zur Beruhigung, noch gar zur Beunruhigung. Manchmal sind Straßen eben freier als andermal. Dann kann sich unterwegs die Notwendigkeit ergeben, unmittelbar nach einer Pause gleich noch eine Pause einzulegen, sonst müssten alle am Treffpunkt mit dem anderen Bus zu lange warten, was unterm Strich natürlich als Option schlechter abschneidet. Immerhin treffen wir unsere alten Bekannten aus Gehren wieder, die Urlaub am Fuß der Zugspitze hinter sich haben und im Herbst nach Japan fliegen werden zu einer Rundreise dort. Dort werden wir uns nicht treffen. Der Vorteil von Busreisen am Wochenende liegt darin, dass die sonst rollenden Lkw jetzt alle Raststätten, alle Parkplätze und inzwischen auch Parkbuchten belegen. Man muss sie nicht überholen, denn sie stehen. Freilich immer auch auf dem Busparkplätzen. Wenn deutschlandweit erst überall E-Zapfsäulen für alle Lkw stehen! Dann aber.
4. Juli 2025
Schon wieder der letzte Tag vor der Heimreise morgen. Es geht nach Rauris und anschließend nach Zell am See. Natürlich kenne ich Rauris wegen der dortigen Literaturtage, in einem Ordner würde ich sogar ein paar Zeitungsausschnitte finden zu Hause. Unser Hotelchef spielt heute den Führer. Ihm ist der Verweis auf die verunglückte Schiweltmeisterin, so schreiben die das dort, Ulli Maier, wichtiger als irgendwelche Literaturtage. Wir sehen ihr Grab, wir sehen ihr Denkmal und dann trotz allem das Mesnerhaus Kultur & Literatur mit der Bank davor, die alle Preisträgernamen von 1972 bis 2021 anzeigt. In Zell am See eine Seerundfahrt und danach Fahrt zu einem Goldwaschplatz. 32 der Preisträgernamen sagten mir etwas, der Rest nichts, aber das kann ich verkraften. Immerhin ist auch Juli Zeh darunter, unsere Wunderknäbin, die sich sogar einen SPD-Fanclub erobert hat, was mir eher nicht gelingen würde. Abends schon wieder das Abschiedsbier am Pool, drin war ich nicht.
3. Juli 2025
Heute geht es zum Gloßglockner, auch den sahen wir 1992 zuletzt. Beim Zwischenstopp Fusch an der Großglocknerstraße das erste Murmeltier noch vom Bus aus, es versteckt sich unter einem parkenden Auto und ist dann weg. Wir schauen uns die Ausstellung an, ehe es weiter geht bis zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe. Dort klettern wir zum ausgewiesenen Murmeltierweg, sehen etliche Löcher mit halben Möhren davor und Erdnuss-Schalen, was anzeigt, wie wenig sich Touristen an die Ansagen halten. Aber kein einziges Murmeltier. Auf dem Weg zum Parkhaus dann doch welche unterhalb der hohen Mauern. Einmal zwei sich balgende Jungtiere, denen eine deutlich größere Mutter nach Schnupperprobe Einhalt gebietet. Es hält nicht lange vor wie bei uns menschlichen Jungtieren auch, wenn wir aus dem Bau kriechen dürfen. Im Ein-Kind-Zeitalter fällt das Balgen freilich aus. Die Pasterze ist seit 1992 irrwitzig abgetaut, dafür sehen wir den Gipfel wolkenfrei.
2. Juli 2025
Unser QR-Code-Fahrschein bringt uns nach Saalfelden am Steinernen Meer, wo wir lustige Umgänge mit dem Namen Hindenburg belichten, der ein Hotel ziert, und einen übergroßen Jesus am Kreuz, einen Goliath unter den Jesüssen gewissermaßen, die wir im Laufe der Jahre hängen sahen. Von Saalfelden aus fahren wir ohne den zunächst geplanten Zwischenstopp nach Zell am See, wo wir vor 33 Jahren schon einmal von St. Johann aus waren, damals mit dem Zug. Es ist schön da und ab 13 Uhr gibt es Wasserspiele alle Stunde. Die Hitze ist grenzwertig, wie man so sagt in aller Unschuld, wir laufen am Ufer in Richtung unserer Bushaltestelle und sehen unterwegs, wo man badet, wenn man Eintritt vermeiden will. Angenehm im Hotel, dass auch die Plätze zum Frühstück festgelegt sind. Wir teilen uns die ersten Tage mit einer bayerischen Bus-Truppe, allein anreisende Gäste sind die Ausnahme. Fürs Abendessen dürfen wir wählen, immer vier Gänge.
1. Juli 2025
Die Weißsee Gletscherwelt ist unser Ziel, wir wandern oben bei etwa 2300 Metern Höhe herum, es ist mir anfangs einigermaßen anstrengend, dann wird es besser. Natürlich Panoramen rundum, die beeindrucken. Die Gletscher sind auf dem Rückzug, was man überall sieht, auch wenn man es nicht gleich sieht. Für die Kurtaxe gibt es nicht, wie andernorts, eine Kurkarte zum Vorzeigen für allerlei Vergünstigungen. Wir müssen umständlich an der Rezeption einen QR-Code für uns erstellen und ausdrucken lassen, mit dem wir dann aber tapfer Bus fahren können im Land Salzburg. Das wollen wir, denn wir nehmen nicht am Ausflug nach Salzburg teil. Wir kennen Salzburg zwar nicht wie unsere Westentasche, das liegt aber nur daran, dass wir Westen selten tragen. Mangels Kühlschrank im Zimmer müssen wir nach dem Essen Rotwein auf dem Balkon trinken, der vorher im zum Glück dichten Waschbecken im Bad gekühlt werden kann. Weißwein ginge gar nicht, Bier eben gerade so.
30. Juni 2025
Unser Ortsrundgang mit Dirndlführung quert die Saalach, die man keinesfalls mit der Salzach verwechseln soll, was ohnehin nur sehr Fremde tun. Wir sehen das älteste Haus des Ortes, wir sehen den Friedhof und mehrere Hinweistafeln auf den Maler Anton Faistauer. Unsere Führerin lässt ihn gar in Maishofen geboren sein und zeigt uns das Geburtshaus, was alles gar nicht stimmt, denn die Familie kam erst nach Maishofen, als der Bub drei Jahre alt war. Faistauer war mit Egon Schiele und mit Oskar Kokoschka bekannt, die wir wiederum sehr gut kennen, weil wir ihre Museen und einige ihrer Gedenkorte schon besichtigten. Zweite Tagesstation ist Lofer, wo vor reichlich 50 Jahren „Alpenglühn im Dirndlrock“ gedreht wurde, eine dieser damals lustig sein wollenden Sexkomödien. Wir fahren bis zur Almwelt Lofer hinauf, laufen nach unten an diversen Wasserfällen vorbei, und sehen auf dem Heimweg zum Hotel noch Maria Alm mit seiner schönen Pfarrkirche.
29. Juni 2025
Es sind alles in allem zehn Stunden, die wir brauchen vom Busbahnhof in Ilmenau bis zum Parkplatz vor unserem Hotel in Maishofen. Mit unserem Auto hätten wir sicher vier Stunden weniger gehabt, so saßen wir gut auf unseren Plätzen und hörten keinerlei Volksmusik. Uns wurde das Zimmer 29 im Nebenhaus auf der anderen Straßenseite zugesprochen, ebenerdig mit Balkon, Blick auf eine Baustelle und Blick auf die Autos parkender Hotelgäste respektive des kroatischen Personals im Zimmerservice. Wir haben hinterm Hotel ein Naturwasser-Pool mit herrlichem Blick auf die Berge und wir haben hohe Temperaturen, was die Sympathiewerte des Pools deutlich erhöht. Bis zum Zentrum des Ortes ein knapper Kilometer, den wir heute nicht ausmessen mit Rücksicht auf den morgigen geführten Ortsrundgang. Der Hotelchef begrüßt uns wie ein erfahrener Hochseekapitän seine Kreuzfahrtgäste, nicht alle finden seinen Humor humorig, das ist halt so.
28. Juni 2025
Heute ist Tag der Bundeswehr, man kann in Kasernen reingehen und gucken. Als noch Tag der NVA war, ging das Gucken nicht. Sonst hätte meine Mutter vielleicht mal einen Blick in den Konsum des Regiments geworfen, in dem ich als Nahrungsergänzungsmittel sehr häufig Nugana-Tafeln und Apfelsaft für 1,49 Mark erwarb von meinem Wehrsold, der so hieß, obwohl ich mich gegen ihn gar nicht wehren konnte. Der Nachrichtensprecher sagt am Abend, dass die Waffenruhe zwischen Iran und Israel jetzt schon vier Tage halte, aber noch nicht alle Schäden beseitigt seien. Wer immer ihm diesen Satz auf den Teleprompter schrieb, sollte wegen forcierter Dummheit entlassen werden oder besser wegen Gedankenlosigkeit. Meinen gestrigen Arnstadt-Ausflug setzte ich heute ins Netz in meine stets stiefmütterlich behandelte Rubrik Lokal-Splitter. Keine tausend Wörter, das hätte vielleicht sogar in eine Zeitung gepasst, die kommen aber erst am Montag mit ihren Print-Berichten.
27. Juni 2025
Zeitig genug schrieb ich den heutigen Termin in Arnstadt in meinen Schreibtisch-Kalender: 19 Uhr Schlossmuseum. Wir parkten auf dem Parkplatz des Landratsamtes hinter meinem Geburtshaus Ley-Villa, hatten diverse Absperrungen zu überklettern, trafen wenig Bekannte, viel Unbekannte, so genannte Lokalprominenz hielt sich auffallend zurück. Zwei ehemalige Kollegen sah ich, mit einem sprach ich und erlebte endlich einmal Cornelia Hobohm aus Wandersleben, von der bisweilen zu lesen war und vielleicht immer noch ist, nur kommt mir das nicht mehr vor Augen, denn was mir nicht ohne Bezahlschranke näher treten möchte, das ignoriere ich voller Inbrunst, Folgeschäden halten sich bisher für mich in Grenzen. So weit oben im Museum war ich noch nie. Immerhin fotografierte ich tapfer und es ist nicht auszuschließen, dass ich im Dezember noch einmal auf diese Marlitt zurückkomme. Nach Charlotte Birch-Pfeiffer in Arthur Eloessers Sicht bin ich fit und firm.
26. Juni 2025
Fundstück: Die Zeitschrift „Die Literatur“, bis 1933 eine Fundgrube und ein Treffpunkt aller oder fast aller Autoren, die mir etwas sagten und sagen, dann immer mehr ein Ort der gegenseitigen Beweihräucherung alter und neuer Nazis, völkischer und ähnlicher Brachialbarden der Scholle, des Blutes und der Ignoranz, veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 1. Dezember 1939 den Hinweis auf ein Buch mit dem Titel „Olympiakämpfer 1940. 1000 Kurzbiographien von Sportlern aller Länder“. Herausgeber und Chefredakteur Wilhelm Emanuel Süskind, der das Buch durchblättert hat, schien offenbar noch sicher, dass die Spiele in Helsinki stattfinden werden. Helsinki war der eigentlich unterlegene Bewerber gewesen, Tokio der Sieger. Am Ende sorgte der Krieg dafür, dass weder da noch dort Spiele stattfanden, auch die Spiele 1944 entfielen. Helsinki musste bis 1952 warten. Da war Süskind längst bei der Süddeutschen Zeitung und die Vergangenheit gründlich vergangen.
25. Juni 2025
Weil ich ein gewählter Vertreter bin, lasse ich mich heute zur Vertreterversammlung im Parkcafé fahren, später von dort wieder im Rahmen einer frischen Fahrgemeinschaft abholen. Den Gedanken der Genossenschaft halte ich hoch, meine sowieso. Wir erzielen bei Abstimmungen fast immer 100 Prozent, ohne dass Putin manipulieren muss oder die Stimmenzähler falsch zählen. Wir geben den Mitgliedern des Aufsichtsrates unsere Stimmen, entlasten den Vorstand, den das natürlich nicht überrascht. Ein paar Worte sage ich auch, als alles ein wenig im Müllthema zu versinken droht. Und habe unter vier Augen noch ein paar teils eigennützige Vorschläge. Wer schließlich für mein Gesicht auf zwei Bänken verantwortlich ist, erfahre ich nicht. Nur zwei Tage fehlen noch in der Schritte-Branche, dann ist auch der Juni wieder kassenfüllend. Vor 20 Jahren wechselten wir von Reschen nach Kurtinig am unteren Ende der Südtiroler Weinstraße, ein Zimmer mit nettem Mini-Balkon.