Tagebuch

31. Oktober 2025

Im „Jahr des Gärtners“ wie in seinem leider deutlich weniger humorigen Pendant aus dem Hause Knobloch absolviere ich den Gartenmonat Juni. Čapek schreibt: „... was aber die Blattläuse betrifft, so gedeihen sie während ihrer Vernichtung in ungewöhnlichem Maße“. Monat für Monat erkenne ich, wie krass die Fehlentscheidung für uns gewesen wäre, uns um einen Garten zu kümmern. Wir sind keine Gärtner, wir wären nie welche geworden. Meine Höchstleistung ist jeweils, wenn ich neue Orchideentriebe so anklammere, dass sie weder knicken noch gar brechen und schließlich in die erwünschte Richtung weiter wachsen. Eine weiße vom Geburtstag braucht bisher gar keine Hilfe von mir. Im Gegenteil, das Geburtstagskind verbat sich jegliche Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten auf dem Fensterbrett im Esszimmer. Ein älteres Exemplar war bereits dabei, seine Blüten abzuwerfen, jetzt bremst es sich, damit die Neue nebenan nicht noch mehr hervorsticht.

30. Oktober 2025

Bei uns ist heute nationaler Reisebuchungstag. Antispontan, wie wir eben sind, versuchen wir den Urlaubskalender 2026 frühzeitig mit Daten zu füttern: da ein Flug, dort eine Bahnreise bereits in Sack nebst Tüten, zwei Busreisen gegen Treuepunkte, für die ich nicht nur den Stammkundenrabatt einheimse, sondern auch die besten Plätze vorn im Bus. Für eine Reise muss ich alles schriftlich beantragen, für alle Buchungen bekomme ich per e-mail erst einmal eine Bestätigung, einmal noch zuvor eine Vorgangsnummer. Das System flutscht. Die Produktivkraft Vorfreude kann ihre Wirkung entfalten. Wegen des morgigen Feiertages sind an allen Märkten und Discountern keine Wagen zu bekommen. Eine Einladung nach Berlin ist auch kurzfristig nicht eingetroffen, ich kann meine Zusage zum Klassentreffen verbindlich machen. Außerdem ist Welttag des Hörspiels. Noch immer lese ich welche, höre keine. Und erfreue mich an den Namen der Sprecher/innen, falls ich sie kenne.

29. Oktober 2025

Seit unserer Rückkehr aus Spanien ist unser Wespennest schwer beschädigt. Was immer die Wand von außen zerschlug, die Bewohnerinnen gingen ins Exil. Nach unserer Rückkehr aus Italien sah das Nest aus wie eine Stadt im Gaza-Streifen. Fetzen flatterten im Wind, der meist aus Richtung Manebach weht. Am Morgen beobachte ich Luftangriffe zweier kleiner Vögel, bisweilen gefolgt von einer zweiten Ein-Vogel-Staffel. Es scheinen Meisen zu sein, die ihre Attacken gegen nichts vortragen, Leckerbissen verspeisbarer Art dürften in der Ruine kaum noch zu finden sein. Wir werden die Reste hängen lassen als Abschreckung für neue Zuwanderer: Hier lohnt es sich nicht zu siedeln. Vielleicht fragt ihr, liebe Wespen, eure Kolleginnen vom Bodenpersonal, ob ihr eine Höhle haben könnt. „Der beherzte Reviervorsteher“ geht ins Register ein, der Gegenplan für Oktober ist damit erfüllt. „Blättchen für Heinz Knobloch (7)“ ist fertig und darf ein wenig im Rauch hängen.

28. Oktober 2025

„Ich will deine Stimme sein“ beendet, es geht weiter mit „Spiegelbild“. Vielleicht halte ich wirklich durch mit den täglichen Gedichten. Als Völker sich noch was schenkten, schenkte das französische dem amerikanischen eine Freiheitsstatue. Das amerikanische freute sich: Ach, toll, so eine Statue wollten wir schon immer mal haben. Weshalb am 28. Oktober 1886 Präsident Grover Cleveland das handliche Geschenk einweihte. Cleveland war zweimal Präsident: Nummer 22 und Nummer 24, eine 23 schob sich dazwischen wie neuerdings erstmals wieder bei unserem Donald. Schmutzige Wahlkämpfe gab es damals schon, seltsame Vorstellungen bei Republikanern auch. Dass Griechen heute ihren Ohi-Tag haben, wusste ich bis eben nicht. Wenn ich davon gehört hätte, wäre vielleicht wenigstens das Stichwort hängen geblieben. Da unsere Nachrichten auf Katastrophen auswärts und Pannen des Kanzlers und seiner Partei einwärts spezialisiert sind, war und ist es nie eine gewesen.

27. Oktober 2025

Wer von Abwechslung nicht aus dem Konzept gebracht wird, der liest, wie ich, bisweilen drei bis fünf Bücher parallel, natürlich nicht gleichzeitig. Also erst das eine, danach das andere, dann das dritte und so weiter. Heute doppelter Neueinstieg: „Gartenlust & Gartenliebe“ von Hobby-Gärtner Heinz Knobloch, es ist eine gestreckte und an die Neuzeit angepasste Fassung von „225 m² Feuilleton“ aus dem alten Band „Bloß wegen der Liebe“. Dazu „Das Jahr des Gärtners“ von Karel Čapek. Das ist ein herrliches Buch, das ich Anfang Mai 1985 erstmals las, meine Pünktchen am Seitenrand zeigen mir, was ich vor 40 Jahren zitierenswert fand. Mein Geschmack ist bis jetzt kaum verändert. Mir gefällt jetzt allenfalls mehr als damals. Darüber könnte man nachdenken: War ich damals strenger, intoleranter? Dann wäre ich jetzt milder, toleranter? Knobloch hat häufiger von einer Toleranzstraße geschrieben, die im Leben natürlich nie so hieß. Geschadet hat es niemandem.

26. Oktober 2025

Diese Überschrift hätte mir vor 40 bis 45 Jahren großen Spaß verursacht: „Doktor Fortschritt“ sehe ich in meiner Sonntagszeitung, darunter dann: „Sami Gaber macht seine Hausarztpraxis im Ruhrgebiet jeden Tag ein bisschen digitaler. Ein Besuch in seiner Sprechstunde“. Ihm ergeht es also deutlich besser als anderen. Ich wandere tapfer weiter mit Papierrezepten durch die Lande. Ich sprach allein auf das Wort Fortschritt damals an wie Pawlows Hund auf die Signallampe, noch heute werde ich, siehe eben, aus jedem Aufmerksamkeitsdefizit gerissen, wenn der Fortschritt sein Recht fordert. Auf der Rückseite eine sehr interessante Anzeige: da will jemand meine Weine und Champagner zu Höchstpreisen ankaufen. Meine Weine sind unverkäuflich und Champagner habe ich gar keine, weil ich im Zweifel immer lieber Cremant trinke, es darf de Loire sein oder d'Alsace, auch Cremant de Bordeaux wird bei uns nicht von der Tischkante geschubst. Ohne Höchstpreise.

25. Oktober 2025

Geburtstags-Nachfeier in Dörnfeld. Wir sind immer wieder gern da. Erst Kaffee und Kuchen, dann ein kleiner Ortsspaziergang zum Friedhof. Dann Essen nach Karte. Zuletzt waren wir dort am 15. März 2023. Wer aus Pennewitz stammt, findet hier manchen Bekannten, Schulzeit-Erinnerungen. So ist es eben, wenn man sieben Jahrzehnte plus Zuschlag hinter sich hat. Abends sind wir doch allein zu Hause. Mehr als einladen geht nicht. 75 Seiten schon wieder weg in „Ich will deine Stimme sein“, damals lugt Stalin noch aus den Zeilen. Bei Knobloch viel Wiederholung aus anderen Büchern, selbst innerhalb des Buches, vermutlich wäre sonst kein Buch daraus geworden, maximal ein Broschürchen. In der Nacht wieder Rückkehr zur Normalzeit. Seit Jahren dieselben Nachrichten dazu: umstritten, keine Einigung. Frauen verkraften die Zeitumstellungen angeblich schlechter als Männer, was sie nicht daran hindert, älter zu werden als Männer. Nur kein Neid. Alles Biologie.

24. Oktober 2025

Wäre ich noch eine Bibliothekshilfskraft wie von 1973 bis 1975, dann wäre heute etwas wie ein Ehrentag für mich: Tag der Bibliotheken. Immerhin bin ich noch ein Nutzer, mal Innsbruck, mal München, mal Dresden, oft Berlin. Aber eben online. Irgendwo in den unergründlichen Tiefen der Kartons, in denen ich Dinge aus Papier aufhebe, lagern noch alte Leihscheine der Staatsbibliothek. Vor Augen habe ich einen Zeitschriftenlesesaal Unter den Linden mit durchgesessenen Stühlen, Stapeln gebundener Blätter. „Alte und neue Berliner Grabsteine“ sind Geschichte, jetzt steckt das Lesezeichen auf Seite 78 in „Der beherzte Reviervorsteher“. Der 2. Auflage hat Knobloch eine Vorbemerkung vorangestellt, die so endet: „Aber nach heutigen Vorkommnissen in Deutschland beurteilt, ist mir ein verordneter Antifaschismus immer noch lieber als gar keiner ...“ Unser heutiger Antifaschismus hat eine gewisse tapfere Neigung zur Gewalttätigkeit mit solidem Frauenanteil.

23. Oktober 2025

Wer immer die Streitpartner sind auf der Streit-Seite der ZEIT, sie lassen sich in derselben Hand-Haltung fotografieren wie ihre Vorgänger/innen. Es kann sein, dass sie alle den selben Gestikulier-Trainer für Politik und Medienprofis hatten. Es kann aber auch gut sein, dass die zuständigen Fotografen meinen, so etwas belebe das Bild. Wir kennen das aus dem Fernsehen: der nach dem Schnitt Interviewte latscht erst einmal an der Kamera rechts oder links vorbei, dann: Schnitt – und schon labert er los. Manchmal durften die in Kürze Interviewten auch nach einem Buch in einem Regal voller Bücher mit Bibliothekskennzeichnung greifen und drin ziellos blättern. Es ist, falls das irgendwie ins Bild zu bringen ist, ihr eigenes jüngstes Buch. Auch Text-Marker mach sich gut, der Einfallsreichtum unserer Medienmacher ist unbegrenzt. In der ZEIT heute heißen die Gestiker Peter Tauber und Dennis Radtke. Sie streiten über Brandmauern. Ein heißes Thema das. Bevor es brennt.

22. Oktober 2025

Vor 25 Jahren Tagesausflug von Rabac aus nach Slowenien, nach Postojna und Lipica. In der Höhle die ersten Grottenolme meines Lebens, deren Leben gefährdet wird dadurch, dass sie gezeigt werden. Die leichte Rosafärbung signalisiert, dass sie das Licht nicht mögen. Inzwischen sahen wir mehr von ihnen und besser präsentiert vor reichlich einem Jahr. Der einheimische Reiseführer Ivan versorgte uns unterwegs mit allerhand Geschichte und schilderte die Serben als Menschen, die faul sind und am liebsten eine Uniform tragen, auch wenn es nur eine Feuerwehruniform ist. Im fernen Australien ist heute der Tag des Wombats, die Burschen liebe ich fast so wie Kapivaras. Im nahen Großbritannien ist heute Tag der Nuss, was mir Reminiszenzen an meine Nuss-Allergie entlockt. Das unauslöschlich schlechte Gewissen meiner Mutter, weil sie genau die falschen Nüsse in ihren Obstsalat gemischt hatte, einige vertrage ich, andere nicht. Nuss-Allergie wäre ein gutes Passwort.

21. Oktober 2025

Am 21. Oktober 2000, im alten Jahrtausend noch, begannen wir unsere erste und bis heute einzige Reise nach Kroatien. Inzwischen ist dort der Euro einmarschiert. Deutschland hält es am liebsten mit alten Verbündeten, bei neuen ist es wählerisch. 1:30 Uhr Abholung am Busbahnhof, 17:15 Uhr am Hotel Lanterna, Zimmer 301. Ausgerechnet am Welttag des Jodmangels muss Nicolas Sarkozy seine Haftstrafe antreten. Nach „Der See“ trage ich heute „Poesiealbum 214“ in mein Register ein, so heimlich, still und leise werde ich zum Jens-Gerlach-Experten. Er lenkt meine Neugier auf Petzow und das dortige Schriftstellerheim, im Nebeneffekt auf Fontane, bei dem Petzow natürlich vorkommt, ohne Heim freilich, das jetzt nicht mehr DDR-Autoren auf- und zueinander führt. Die Zeiten, wir erinnern uns dunkel, ändern sich. Kroatien aber werden wir 2026 wiedersehen, wenn uns ein Katalog eine interessante Reise anbietet, die sich um den nächsten Geburtstag gruppiert.

20. Oktober 2025

Für junge Leute heißt es „Feiern“, wenn sie ekstatisch zu musikähnlichen Geräuschen hopsen und die Arme schwenken. Dazu muss das Licht derart flackern, dass Filmaufnahmen davon mit einer Triggerwarnung versehen werden: Flackerndes Licht. Das kommt mittlerweile fast so oft wie Gewalt, Rauchen oder sexuelle Inhalte. Das wiederum sind Nanosekunden im amerikanischen Film, in denen man ein nacktes Schulterblatt geahnt weiblichen Körpers sieht. Das Land der unbegrenzten Verklemmungen. Aber sie haben während der Berlin-Blockade Freiheit über uns abgeworfen oder so ähnlich. Vor 150 Jahren wurde Georg Bernhard geboren, lange Chefredakteur der Vossischen Zeitung, ein großer Journalist. Es gibt eine von den weiß-blauen Berliner Gedenktafeln für ihn in der Kleiststraße 21, Berlin-Schöneberg. Da man die Vossische Zeitung online lesen darf, wenn man weiß, wie es geht, ist es leicht, dort nach Beiträgen von ihm zu suchen. Er starb 1944 in New York.


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