Tagebuch

17. April 2018

Ausflug in Goethe-Gefilde. Die halbwegs verblüffende Feststellung, dass Ernst Beutler auf seinen knapp 50 Seiten über Corona Schröter weniger Substanz bietet als Fritz Kühnlenz auf seinen elf Seiten. Man kann ohnehin nicht wenige der zahlreichen Goethe-Texte von Beutler ohne schlechtes Gewissen „Phantasiestücke in Beutlers Manier“ nennen, was im Kern durchaus als Lob  zu sehen wäre. Denn der langjährige Chef des Freien Frankfurter Hochstiftes verstand es wie kaum einer, die weißen Flecken bei und rund um Goethe mit Farbe und Stoff zu füllen, wo harte und belastbare Fakten nicht zuletzt wegen der fast lebenslangen Vernichtungswut Goethes selbst schlicht fehlen. Der Name Ilmenau taucht in Beutlers „Corona Schröter“ nur ein einziges Mal auf, da hat er schon vierzig lange Seiten gefüllt. Den ersten Schröter-Biographen Robert Keil nahm er offenbar nicht zur Kenntnis, den Namen von Wilhelmine Probst, Coronas treuer Lebensgefährtin, kennt er auch nicht.

16. April 2018

Schlechte Nachrichten für Stichwahlfreunde: sie müssen ihre Wahlbenachrichtigung wegwerfen. Ich hätte an der Stichwahl ohnehin nicht teilnehmen können wegen eines Aufenthaltes im befreundeten deutschsprachigen Ausland. In manchen Gegenden lag die Wahlbeteiligung unter 40 Prozent, die rauschenden Sieger/innen werden davon keine Notiz nehmen: Mund abputzen hieß das früher fürs Phrasenschwein und dann sieben Jahre ran an den Speck. Wann wir den neuen Oberbürgermeister wählen werden, wissen wir noch immer nicht, wir wissen auch nicht, wer es denn werden möchte, das ist eine prima Ausgangssituation. Wäre ich ein Däne, wurde ich heute zum Geburtstag meiner Königin die Fahne schwenken. Als sie auf den Thron kletterte, beschützte ich die DDR gerade vor ihren Feinden, diese nette Zeit habe ich in „Kulturschock NVA“ geschildert, was gar nicht stimmt, denn „Kulturschock NVA“ schildert nichts, das Buch versammelt nur meine authentischen Briefe.

15. April 2018

Gäbe es mehr Gastspiele der allerersten Häuser in den, nun ja, anderen Häusern, dann könnte man in den anderen Häusern als Zuschauer den Eindruck gewinnen, dass draußen in der Welt bisweilen so gutes Theater gespielt wird, dass die Heimmannschaft, nun ja, in ein realistisches Licht getaucht erscheint. Wir sind wieder zu Hause und haben ein Gastspiel des Residenztheaters München hinter uns. Sagen wir es vorsichtig: Es gibt Schauspieler und es gibt Schauspieler. Manche können mehr, manche können weniger, manche machen einen fast sprachlos. Das geht, fragt man sich im Parkett, so kann man spielen, so können vier auf einmal auf einer kargen Bühne spielen? Ja, sie können. Sie können es. Es ist ein Mehrfachvergnügen, ihnen zuzuschauen. Ja. Dann hier die Landratswahl, wir haben unsere Stimmen abgegeben. Wenn es zur Stichwahl kommt, schlagen wir ein zweites Mal zu. Für Robert Walser haben wir heute keine Zeit, es ist auch nur sein 140. Geburtstag. Aber immerhin.

14. April 2018

Sie haben es getan in so genannter Westmächte-Einigkeit. Gezielte Angriffe auf die Chemie-Waffen des Diktators Assad, der 2011 längst zurückgetreten wäre, wenn der Westen das damals akzeptiert hätte, nur spricht heute niemand mehr gern davon. Ebenso ungern jedenfalls wie von Chemiewaffen des Diktators Saddam. Wir wissen immer, wo die sind und dann, wenn wir dort sind, waren sie gar nicht da, nicht einmal die irakische Armee fanden wir mehr, die war einfach weg. Es gibt lebende ehemalige US-Außenminister, die sich ihres Stusses öffentlich schämen, den sie einst vor der UNO schwafelten. Aber wir lernen aus solchen Fällen natürlich nichts, warum auch? Wer wie ich öfter in Brüssel war, im politischen wie im militärischen Hauptquartier, der weiß, welch ein Segen die neue Konfrontation mit Moskau ist: man kann uralte Planspiele aus den Schubladen zerren, muss nicht lange erst noch kreativ werden gegen Neu-Feinde. Wir reisen rasch weg, sind morgen wieder da.

13. April 2018

Katharina von Medici hat heute ihren 499. Geburtstag. Unter Hugenotten gilt sie, wie man modisch sagen müsste, als umstritten. In einigen asiatischen Staaten begeht man das Wasserfest, bei dem sich die Leute gegenseitig mit Schläuchen und Wasserpistolen bespritzen. Fritz Teufel benutzte am 19. Februar 1982 in einer Talk-Show eine Wasserpistole, um den Bundesfinanzminister Hans Matthöfer (SPD) zu bespritzen. Manche YouTube-Kommentatoren glauben, dem im Netz stehenden Filmchen ablesen zu dürfen, dass die Bundesrepublik früher interessanter war. Und das, obwohl wir wissen, dass Nena damals ihr Achselhaar noch nicht rasierte. Was geschah sonst an 13. Aprilen: Mohammed fuhr zum Himmel, Günter Grass starb, Rudi Völler wurde geboren, um die wichtigsten Ereignisse in umgekehrter Reihenfolge genannt zu haben. Also die für uns Urdeutschen wichtigsten. Ich denke ganz privat an Edeltraud G., die 65 würde als fast letzte aus unserer 1959er Klasse, lebte sie noch.

12. April 2018

Während man so vor sich hinlebt nach den Regeln „Und täglich grüßt das Murmeltier“, arbeitet der Gesetzgeber ununterbrochen daran, einander widersprechende Rechtstatbestände zu schaffen. Er erlaubt sich beispielsweise rückwirkende Erlasse, erkennt verspätete Belege aber nicht nur nicht rückwirkend an, er streicht auch einzelnen Wehrlosen bereits zuerkannte Bescheide. Das nennt man in der Staatstheorie für Begriffsstutzige Souveränität des Souveräns. Versicherungsabschlüsse aus Urzeiten wandeln sich nachträglich zum Betrug am Kunden, wenn der Staat plötzlich rückwirkend beschließt, dies oder jenes von der Auszahlungssumme doch lieber zu besteuern, plötzlich doch mit Beiträgen zu belegen und so weiter. Dann war rückwirkend der abgeschlossene Vertrag noch blöder als die Anlage eines Sparbuchs mit null Prozent Zinsen. Eine Steuererklärung auf dem Bierdeckel würde just deshalb einer ganzen urdeutschen Volksgruppe inklusive Hintergründlern den Job killen.

11. April 2018

Der Zucker, wir lernen es täglich aus den Ausgrabungen des investigativen Journalismus, ist ein extrem hinterhältiger Bursche. Sein Hauptverhaltensmuster: sich verstecken. Er versteckt sich an Stellen, wo man ihn nicht vermutet. Es wäre freilich auch einigermaßen dämlich, sich dort zu verstecken, wo man vermutet wird. Besonders auffällig ist seine grammweise Existenz, darin unterscheidet er sich in Europa deutlich von Amerika. Dort gibt es gleich einen ganzen Zuckerberg, der sich überhaupt nicht versteckt, sondern sogar Fehler einräumt. In Dosdorf gibt es eine Schaf-Käserei am Ziegenried, deren Produkte, besonders der Weichkäse, derart gut sind, dass ich Käsaner werden könnte. Und dann war da noch der Schuss vor 50 Jahren, also 1968. Die Abfolge der TV-Rückblicke wird immer dichter, noch leben einige jener Rumpelstilzchen mit ihren Wallebärten, die einst „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“ krähten wie die Hähne auf dem Mist an huhnfreien Wochentagen.

10. April 2018

Die Aufführung seines „Deutschen Requiems“ am 10. April 1868 im Bremer Dom leitete Johannes Brahms selbst, das war ein Karfreitag. Dank des YouTube-Kanals auf meinem schon nicht mehr ganz neuen Fernseher hörte ich heute zum Rhabarber-Marmeladen-Toast Brahms. Das muss ich als Premiere werten, denn wenn ich überhaupt morgens den Kasten einschalte, dann wegen der Text-Nachrichten. Denen entnehme ich, dass Heiner Lauterbach heute 65 Jahre alt ist, seine erste Rente also noch vor Silvester ausgezahlt bekommt, falls er immer fein eingezahlt hat. Aus einem Stapel Goethe-Bücher zog ich gestern „Goethe als Student“ aus dem Leipziger Verlag Klinkhardt & Biermann. Der Band enthält zwei separate Titel und „Goethes Leipziger Studentenjahre“ von Prof. Dr. Julius Vogel werde ich heute schon beenden können. „Goethe, der Straßburger Student“ von Dr. Ernst Traumann muss noch ein wenig warten. Der gesamte Band ist voll interessanter Abbildungen.

9. April 2018

Jean-Paul Belmondo ist jetzt 85 Jahre alt, ich weiß nicht, ob er es immer noch cool findet, mit im Mundwinkel hängender Kippe zu reden. In meinen jungen Raucherjahren tat ich das auch gern, aber es fiel einem permanent die Asche auf die Klamotten. Meine Mutter, nicht ganz fünf Jahre älter als Belmondo, erzählte gelegentlich gern, dass er alle Stunts selbst machte in seinen Filmen. Ich weiß nicht, ob das stimmt. War ja überhaupt eine andere Zeit, als noch Mantel-und-Degen-Filme der Hit waren, die Bösen immer nach oben flohen und dann malerisch nach unten stürzten. Diverse Krimis haben sich später die Grundidee anverwandelt. Besonders in still gelegten Industrieanlagen klettert es sich auf der Flucht wunderbar auf alte Fördertürme, Kranausleger oder dergleichen und zum Aufklatschen unten passt gut ein kleiner weiblicher Schrei. Bei den Kopten ist heute Frühlingsfest. Ich überlege kurz, ob grüner oder schwarzer Tee schädlicher ist für schwarze Computer-Tastaturen.

8. April 2018

In dem Buch der Schweizerin, denn um eine solche handelt es sich, kommt ein gar nicht auf Weimar fixierter Klassik-Begriff zum Tragen. Und es stehen gute Sätze drin wie etwa dieser: „Wem Konvention das billig Konventionelle bedeutet, der weiß wenig vom Klassischen.“ Oder die Frage: „Gibt es ein schlimmeres Missverständnis des Klassischen als den Gedanken, es könnte zur Krücke nachlassender Erfindungskraft oder zur Tarnung mangelnden Wirklichkeitsmutes werden?“ Oh, der Krücke nachlassender Erfindungskraft begegnet man oft, wenn man in ein Theater geht. Dieser Tage las ich wieder von einer Inszenierung „Die Leiden des jungen Werther“, das Stück kannte ich bisher gar nicht. Mein Blick zu „Nachtkritik“ am heutigen Vormittag stellte mich vor die drängende Frage: Gibt es außer in Würzburg und Dortmund keine Premieren mehr? Später kamen doch noch zwei hinzu, lange nach neun Uhr. Früher war das mal die Deadline für Veröffentlichungen. Früher. 

7. April 2018

Man kann sich so ziemlich erstmals in diesem Jahr wieder auf einen Gartenzaun gelehnt und ohne dicke Jacke mit Nachbarinnen unterhalten, die man verschollen glaubte: Rentner eben, unterwegs von hier nach da, von da nach hier. Werden wir dann auch weitgehend unsichtbar sein? Vermutlich. Ein Rente empfangender ehemaliger Landtagsabgeordneter erzählte mir gestern, er sortiere derzeit seine alten Zeitungsausschnitte, sogar Fortsetzungsromane darunter, die er einst über die einstige Grenze geschickt bekam. Auch ich war zeitweise sein Sammelgegenstand, als ich noch regelmäßig eine Print-Kolumne veröffentlichte samstags. Das einzige meiner Bücher, das es im Buchhandel nicht gibt, obwohl es nicht vergriffen ist, heißt „Samstag oben links“. Die winzige Zielgruppe weiß allerdings, dass immer ein Stößchen bei mir liegt, Anruf genügt, oder Mail. Noch winziger ist die Gruppe derer, die Elisabeth Brock-Sulzer kennen, ich entdecke sie eben über ihr Buch „Theater“.

6. April 2018

Warum, um alles in der Welt, schreibt eine deutsche Wochenzeitung anlässlich einer neuen Übersetzung von Homers „Odyssee“ ins Englische, dass man die jetzt endlich wieder lesen könne. Wer, um alles in der Welt, der bisher die „Odyssee“ unleserlich fand, stöhnt jetzt erlöst: endlich. Die Übersetzerin ist eine Frau, aha. Wir ahnen: Schimmel sind weiß. Also die erste Frau, die 12.110 Hexameterverse ins Englische übertrug. Macht das die Sache an sich schon gut? Wie machen sich überhaupt griechische Hexameter im Englischen? Hoffentlich nicht wie französische Alexandriner im Deutschen oder deutsche Blankverse im Russischen. Die Überschrift des Beitrages von fast einer kompletten Seite Länge heißt „Homerun Homer“. Homerun wiederum kommt vom Baseball-Spiel. Das wiederum ist das Spiel, das allen besonders gefährlichen männlichen Menschen, und manchen weiblichen wohl auch, eine prima Mordwaffe servierte. Homer als Lederkugel oder was jetzt??


Joomla 2.5 Templates von SiteGround